Kann die jüngste Ausgabe aus Ubisofts bekannter Meuchelmörder-Serie noch immer überzeugen, oder sollten die Assassinen mal einen Sommer lang in verdiente Ruhepause gehen, um neue Kräfte zu sammeln? Wir sagen es euch!
Grundlegendes mal anders
Sitzend zwischen zwei Stühlen, die auf der einen Seite eine immer neue Erlebnishascherei einfordern und auf der anderen Seite doch einmal die bekannten Stärken ausbauen und die größten Schwächen erst einmal auf eine geregelte Bahn bringen sollen. Ja, an dieser Stelle sitzen wir beim Anspielen des jüngsten Ablegers der Assassin’s Creed Reihe, Syndicate aus dem Hause Ubisoft. Die Spielmechanik ist für Serienkenner bekannt, der Wechsel zwischen der Jetzt-Zeit und der Welt im virtuellen Animus gewohnt vertraut, der Komplott mit ihrer Verschwörung zwischen dem Templer-Orden und den Assassinen bekannt und doch wirkt es vielerorts so, als wäre der neuste Titel nur eine Weiterentwicklung, ein Addon, statt einem neuen Kapitel in und um den Kampf der Templer und den Assassinen im historischen und aktuellen Kontext.
Das heißt aber nicht, dass Ubisoft hier ein schlechtes oder enttäuschendes Spiel hinterlassen hat, im Gegenteil. Viele Kollegen sprechen von einem der besseren Titel aus der Serie, der das letztjährige Technik-Debakel aus Unity beinahe vergessen lässt. Doch Unity stand Syndicate in allen Bereichen als Vorlage zur Verfügung und das merkt man dem diesjährigen Ableger doch sehr deutlich an, obgleich auch neue Mechaniken oder Spielinhalte den Weg in die Serie gefunden haben, andere wiederrum sogar entfernt wurden.
Zwilling statt Single
Spieler, die Untiy gespielt haben, werden sich auch in Syndicate direkt heimisch fühlen. Die Steuerung ist bis auf wenige kleinere Veränderungen identisch, das letztjährige Features des intuitiven Klettern ist mit dabei und erlaubt auch dieses Mal eine angenehm schnelle und komfortablere Bewegung mit seinem Charakter in der Spielwelt. Wo wir gerade beim Hauptcharakter sind, hier legt man dieses Jahr einen neuen Ansatz vor und präsentiert erstmals in der Serie die Möglichkeit, zwischen zwei Charakteren zu wechseln. Jacob und Evie Frye fungieren dabei als Geschwister und verfolgen mit ihren Fähigkeiten jeweils einen anderen Ansatz.

Während Evie mehr auf Schleichen, das Töten aus dem Verborgenem heraus und dem schnellen Bewegen innerhalb der Spielwelt konzipiert ist, setzt ihr Bruder Jacob auf rohe Gewalt, Exekutionen und den direkten Zweikampf. Das erlaubt in der Theorie einen interessanten Ansatz und gibt Spieler beider Fraktionen eine gute Gelegenheit sich mit einem der beiden Hauptcharaktere zu sympathisieren und diesen konsequent an seinen eigenen Spielstil zu entwickeln. Doch in der Praxis gibt es, bis auf eine eine knappe Handvoll Fähigkeiten, keine nennenswerten Unterschiede zwischen Evie und Jacob. Beide haben exakt das selbe Arsenal zur Verfügung, die selben Grundfähigkeiten und unterscheiden sich bis auf eine optische Unterscheidung auch hinsichtlich ihrer Ausrüstung nicht.

Hier liegt noch viel Potenzial offen auf der Straße, welches in einem späteren Serientitel mit Sicherheit noch ausgebaut und verfeinert werden könnte. Gerade das Spielen als Frau gibt Assassin’s Creed in seiner ästhetischen und grazilen Form einen mehr als passenden Anstrich. Plus, wir haben über die Serientitel und deren Ableger auf dem Mobile- oder Handheldmarkt bereits genügend auf die Rücken von störrischen, raubeinigen Helden gestarrt. Doch auch wenn Evie als einer der beiden neuen Hauptcharakteren einen angenehm frischen Wind in das angestaubte Korsett bringt, so bleibt nicht nur sie und ihr Bruder Jacob, sondern alle Haupt- und Nebencharaktere der Geschichte blass und oftmals weniger nachvollziehbar. Nach dem holprigen und wenig erklärendem Spieleinstieg finden wir uns direkt mit dem Ziel konfrontiert, welches wir in der Vernichtung des Großmeisters des Templer-Ordens gefunden haben. Ab da haben wir durchweg ein Ziel vor Augen und meucheln uns auf dem Weg zur Spitze durch immer weitere Handlanger und Widersacher hindurch.
Auch wenn die Einführung dieser Untergebenen nicht immer sauber und nachvollziehbar gelingt, so ist der lange Weg zum Großmeister ein launiger, welcher einen mit seinen klaren Linien doch bei Laune hält. Dennoch wirkt die Inszenierung an machen Stellen etwas zu gewollt, die Motivationen zu gekünstelt. Ob es Evies Suche nach historischen Artefakten ist, oder Jacobs Plan seine eigene Gang aufzubauen und den Großmeister der Templer zu schwächen. Alle gebotenen Wege wirken teilweise schräg an den Haaren herbei gezogen und wenig plausibel, teilweise sogar überstürzt und an machen Stellen auch fremdschämend in den Zwischensequenzen.
Neu heißt nicht immer auch neu

Die wohl offensichtlichsten Neuerungen von Syndicate sind neben der Option zweier möglicher Hauptcharaktere, die Kutschen, mit denen man geschwind durch die Straßen von London fahren kann. Auch wenn die Steuerung der Kutschen oftmals sehr schwammig und holprig wirkt, so scheint doch der grundsätzliche Einbau von Fahrzeugen sinnvoll und zeigt die Richtung, in der wir einen der nächsten Ableger wohl sehen können. An manchen Stellen, vor allem auf den Brücken Londons, wirkt die übermäßige Befahrung durch viel zu viele Kutschen jedoch etwas albern und hindert den geneigten Spieler dank der knarzenden Steuerung auch am schnellen Vorankommen.
Doch bleiben Kutschen nicht das einzige Fortbewegungsmittel, welches wir als Neuerung in Syndicate begrüßen dürfen. So richten sich die beiden Frye Zwillinge einen fahrenden Zug als Hauptquartier ein. In diesem könnt ihr euren Missionsstatus betrachten, zu reduzierten Preisen eure Verbauchsmaterialien auffüllen, Missionsgegenstände als Souvenirs begutachten, aber auch das erwirtschaftete Geld eurer Gang abholen oder neue Missionen annehmen. Dieser fahrende Hub-Level wirkt angenehm in das Londoner Setting integriert und bietet auch eine gute Möglichkeit den selbstfahrenden Zug als Transportmöglichkeit zu gebrauchen, um von einem Stadtteil ins nächste zu gelangen. Lange Fußmärsche über Straßen und Dächer können so vermieden werden. Doch auch für diesen Zweck hat sich Ubisoft etwas Neues einfallen lassen, den Seilwerfer.

Durch die notwendige Verbreiterung der Straßen, damit mehrere Kutschen nebeneinander fahren können, mussten auch Häuser weiter auseinander platziert werden. Durch diese notwendig Veränderung, wäre das bisherige System mit seinen schmalen Straßen und eng beieinander liegenden Häusern nicht mehr effektiv möglich gewesen, wenn jede Hauptstraße das Ende des Meisterassasinen bedeutet. So hat man einen Seilwerfer als neues Gadget eingebaut, der einen auf Knopfdruck an einem Vorsprung oder Haus hinauf ziehen kann, oder mit dem man Abgründe bzw. Hindernisse wie Straßen, Flüsse oder Schiffe galant überbrücken kann. Grob gezielt feuert euer Held ein Seil aus, an dem ihr entweder entlang hangelt oder bergab rutschen könnt.
Und auch wenn diese Mechanik im Vorfeld für viel Kontroverse gesorgt hat, schließlich erschüttert man damit die Grundfesten aller bisherigen Teile, so wirkt sie wunderbar angenehm ins Spiel integriert und erlaubt eine wesentlich modernere Fortbewegung. Man erwischt sich sehr schnell im Spiel, dass man versucht ohne Unterbrechung mittels des Seilwerfers voran zu kommen und das grazile Schleichen und Klettern über die Häuserdächer lediglich als Kurskorrekturen vornimmt, oder um sich an einen Gegner heran zu pirschen. Danke Ubisoft für diese kleine, aber feine Verbesserung. Und nachdem wir den Abspann anschauen durften, bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack. Ist Syndicate nun etwas vollkommen Neues, ein logischer Schritt in der Reihe oder der Beweis, dass man aus den Fehlern von Unity gelernt hat und der Welt beweisen wollte, dass diese Formel funktioniert? Wir können es aktuell nicht genau einschätzen.
Der fahle Geschmack von gewohnten Konserven in Form seiner Inszenierung und Geschichte, der teilweise abstrusen Charaktere und deren Motivation, paart sich mit den kleinen Verbesserungen und Nettigkeiten, die an vielen Stellen doch immer wieder hervor blitzen. Aber am Ende bleibt immer der Eindruck, als würde Syndicate ein Lückenfüller sein, als sei es nur ein Probestück für ein noch viel umfangreicheres Assassin’s Creed. Die zu wenigen Neuerungen im Gegensatz zu den direkten Vorgängern, das Konservieren der bekannten Kost und das stellenweise Entschlacken wirken, als befänden wir uns mit Evie und Jacob Frye im Beta Stadium für das wirklich relevante Endprodukt. Werden wir im nächsten Jahr die Revolution dieser Evolution sehen können? Mit den Vorzeichen die uns Syndicate gibt, freuen wir uns darauf!
Fazit
Auch wenn Syndicate nur wenig Neues versucht, schafft es doch in fast allen Bereichen besser als sein von technischen Problemen geplagter Vorgänger zu sein. Syndicate lief in unserer Xbox One Version anstandslos, bis auf einen Spielabsturz hatten wir nur gelegentliche kleinere Ruckler und die doch ab und an störrische Steuerung als größten Feind. Die Konsole blieb angenehm ruhig und gelassen ob der vielen Menschen, Fahrzeugen und den schnellen Bewegungen im Spiel. Das gefällt! Und obwohl Assassin’s Creed Syndicate vieles richtig und wenig falsch macht, wird es sich leider aufgrund der Charaktere, der zweifelhaften Inszenierung der Geschichte, der mangelnden Spielbalance und der sich wiederholenden Nebenaufgaben, nicht in unsere Top 3 aller Assassin’s Creed Teile einreihen können. Doch verdient es sich wohlwollend einen Platz im oberen mittleren Bereich.