Sonic. Das ist jener blaue, blitzschnelle Igel, welcher sogar den Road Runner Staub schlucken lässt und für viele Kinder der 1980er und 1990er den Inbegriff von Geschwindigkeit und Coolness darstellte. Sonic war für diese Generation nicht nur ein Held sowie der Erzrivale von Genreprimus Mario, sondern auch Bestandteil hitziger Schulhofdiskussionen darüber, wer denn nun die Nase im »Konsolenkrieg« vorn hatte. Bis dato ist Sonic ein Sinnbild für dessen Entwickler SEGA, ganz so wie es ihm bis heute jener pummelige Klempner für Nintendo gleichtut.

Auferstanden aus Ruinen

Mit SEGA sowie Sonic verbindet mich eine ambivalente Beziehung. Während ich meine ersten, zäglichen Schritte als Konsolero anno 1992 im zarten Alter von sieben Jahren in »Sonic The Hedgehog» auf dem Master System II vollbrachte, spielte sich anschließend meine bis heute größte Passion tatsächlich auf Nintendo-Systemen ab. Trotzdem habe ich regelmäßig bei Freunden Mega Drive gespielt. Nicht selten schielte ich neidisch auf das dunkle, cool aussehende HiFi-Gehäuse der Konsole und die darauf laufenden Klassiker. Dazu zählte nicht nur die Sonic-Reihe, sondern auch ganz besondere Leckerbissen wie Disney’s Aladdin, die Golden Axe Trilogie oder die Streets of Rage-Reihe, um nur einige, wenige zu nennen.

Einmal wollte ich schlussendlich sogar mein SNES nebst Spielesammlung gegen das 16 Bit-Äquivalent von SEGA eines Schulkameraden eintauschen. Mit Sack und Pack stand ich dann parat, nur um festzustellen, dass ich rein zu dessen Belustigung hereingelegt worden war. Traurig, aber wahr. Heute ist mir klar, dass besagter Schwindler sein »cooles« Mega Drive einfach nicht gegen mein »Kinderspielzeug« eintauschen wollte. Na ja, ganz offensichtlich handelte es sich bei dem Kerl auch um ein Arschloch. So war das damals mit dem Konsolenkrieg, liebe Leute. Da wurde mit harten Bandagen gekämpft!

Die Gegenwart Sonics sieht ähnlich aus, wie ich zum blauen Igel und dessen Schöpfern in der Vergangenheit stand: ambivalent. SEGA innovierte sich ab »Sonic Adventure« (Dreamcast, 1998), dem ersten Ableger des »Blue Blur« in 3D, bis heute um Kopf und Kragen. Die meisten der 3D-Iterationen sind bestenfalls durchschnittlich, schlimmstenfalls eine unfertige, mit Bugs übersäte und sprichwörtlich unspielbare Fehlgeburt vom Schlage eines »Sonic The Hedgehog» (PS3/360, 2006) oder »Sonic Boom« (Wii U, 2014). Obendrein glänzt SEGA regelmäßig mit völligen Geschmacksverirrungen wie dem Kuss zwischen Sonic und einer menschlichen Prinzessin in eben genanntem 2006er-Titel oder Beschreibungen darüber, wie Sonic »monatelange Folter« über sich ergehen lassen musste, er jetzt aber wieder »gut drauf« sei (Sonic Forces, 2017). Ähm, ja. All diese Entgleisungen vermochten auch die besseren 3D-Varianten des blauen Flitzers wie »Sonic Colours« (Wii, 2010) oder »Sonic Generations« (PS3/360, 2011) nicht aus den Köpfen der Spielerschaft zu tilgen.

Wenig verwunderlich, dass sich eine Reihe leidenschaftlicher (2D-)Sonic-Fans, allen voran Christian Whitehead alias »Taxman«, daran machten, eigene Sonic-Spiele ganz nach guter, alter 16 Bit-Machart zu verwirklichen. Mit beachtlichem Erfolg. Nicht nur die Fans liebten seine bis ins letzte Detail nachgebildeten Sonic-Interpretationen, auch SEGA selbst hat Gefallen an diesen gefunden. So wurde »Taxman« zunächst engagiert, um die Mega Drive-Titel so originalgetreu wie möglich zu emulieren, um sie neuen Spielergenerationen zugänglich zu machen. Alte wie neue Sonic-Fans haben die Neuveröffentlichungen mit Lob überhäuft und so kam es schlussendlich dazu, dass Christian »Taxman« Whitehead damit beauftragt wurde, einen völlig neuen 2D-Sonic-Titel zum Rennen zu bringen. Im Sommer 2017 veröffentlicht, heimste Sonics Wiederauferstehung tosenden Beifall gleichermaßen seitens Presse und Fans ein. Grund genug, das seit langem am besten bewertete Sonic-Spiel in einer inhaltlich erweiterten, physischen Variante namens Sonic Mania Plus auf den Markt zu bringen.

Gotta Go Fast

Irgendwie komme ich nicht vom Damoklesschwert los, welches sich in Form des Begriffes “Ambivalenz” über diese Kritik gelegt hat. Beschreibt es doch weiter auch vortrefflich, wie die Spieler das Gameplay der 2D-Sonic-Spiele empfinden. Die einen lieben es, die anderen verfassen ganze Dissertationen über das nach deren Ansicht miserable Spieldesign. Mir erging es ähnlich. Lange Zeit fand ich zwar die Präsentation und die irre Geschwindigkeit der Sonic-Spiele äußerst ansprechend, das auf den ersten Blick konfuse Leveldesign aber war für mich ein Offenbarungseid der Entwickler. Dabei ist das Spielkonzept simpel und auch das Leveldesign wenigstens durchdacht. Mein Fehler lag darin, Sonic als reinen Plattformer zu interpretieren und ihn als solchen mit klassischen Genrevertretern vom Schlage eines Super Mario zu vergleichen. Das Fazit lautet in diesem Fall jedoch: »Themaverfehlung! Setzen! Sechs!«

Der legendäre Programmierer Yuji Naka sowie der Künstler und geistige Vater Sonics, Naoto Ohshima, hatten indes stets eine klare Vision: Die Sonic-Spiele sollen Coolness mit Geschwindigkeit vermischen und lassen sich dabei gerne von klassischen Flipperautomaten inspirieren. Die Levels sind demzufolge meist in drei mehr oder weniger offensichtlich voneinander separierte Bahnen aufgeteilt. Während die oberste davon zwar die augenblicklich schnellste darstellt, ist sie zugleich auch die am schwierigsten zu meisternde. Scheitert ihr auf dieser, so landet ihr meist eine Bahn darunter und so weiter. Im Grunde gibt es also pro »Akt« (wovon sich wiederum jeweils zwei auf eine »Zone« verteilen) drei unterschiedlich fordernde Pfade.

Die verschiedenen Sonic-Ableger werfen euch dabei gerne mal Hindernisse oder Widersacher in den Weg, auf die ihr ohne Vorwissen nur mit wieselflinken Reflexen reagieren könnt. Das erscheint zunächst unfair, doch Sonic setzt auf den »Muscle Memory«-Effekt. Durch wiederholtes Spielen der Akte prägt ihr euch nach und nach Pfade, Hindernisse und Opponenten ein, während eure Muskelreflexe zum Betätigen der erforderlichen Tasten mehr und mehr darauf konditioniert werden, rechtzeitig zu reagieren. Auf diese Weise, genug Disziplin vorausgesetzt, werdet ihr mit jedem Durchlauf auf der Jagd nach der Bestzeit immer besser. Letztendlich scheucht ihr wie ein regelrechter, blauer Wirbelwind Antagonist Eggman und seine fiesen Roboter, die Badniks, nur noch so vor euch her, dass es eine wahre Freude ist!

Sonic Mania Plus kommt euch im Vergleich zu den 16 Bit-Mega-Drive-Titeln beim Leveldesign und der Platzierung von Gegnern und Hindernissen soweit entgegen, das Frust nur selten entsteht. Es macht unglaublich viel Freude, wenn ihr wie ein geölter Blitz durch die 12 fantasievoll gestalteten Zonen rauscht. Euch erwartet dabei ein Mix aus bekannten Zonen früherer Sonic-Titel, aber auch einige eigens neu entworfene Levels gesellen sich dazu. Trotzdem dürft ihr euch auch gern jederzeit eine ruhige Minute gönnen, um versteckte Pfade, Geheimnisse oder Power-ups aufzustöbern. Apropos: Neben den ikonischen, goldenen Ringen, welche im Überfluss zu finden sind und einerseits einmalig vor Schaden bewahren und andererseits nach 100 gesammelten Ringen ein Extraleben spendieren, gibt es besagte Power-ups wie Schilde, Laufschuhe für höhere Geschwindigkeit oder temporäre Unbesiegbarkeit. Obendrein gibt es in jeder Zone auch gut versteckte, übergroße Goldringe. Einmal aufgespürt, katapultieren diese euch in eine 3D-Bonus-Stage. Dort müsst ihr ein UFO einfangen, um an einen der sieben begehrten Chaos Emeralds zu gelangen. Habt ihr alle beisammen, bekommt ihr ein alternatives Ende zu sehen.

Eine andere Art Spezialabschnitt sind die aus »Sonic 3 & Knuckles« bekannten, sphärischen 3D-Levels, in welchen ihr euch auf die Jagd nach den blauen Kugeln begebt. Dabei bewegt sich ein immer schneller werdender Sonic auf einem schachbrettartigen Spielfeld (ähnlich wie in »Sonic Lost World«) und muss zahllosen Hindernissen ausweichen. Eine einzige Berührung reicht zum Scheitern aus. Dabei alle blauen Kugeln einzusammeln ist eine Herausforderung, gleichzeitig auch noch alle Goldringe zu schnappen hingegen ein wahres Kunststück. Belohnt wird die Mühe dafür mit zahlreichen, freischaltbaren Extras wie dem Debug-Modus oder neuen Fähigkeiten für Sonic.

Am Ende eines jeden Akts erwartet euch natürlich ein Boss. Meist ist das wie gewohnt der gute, alte Eggman in einer seiner sonderbaren Roboter, doch auch Metal Sonic gibt sich ein Stelldichein. Die Auseinandersetzungen gestalten sich spielerisch sehr abwechslungsreich und sind äußerst kreativ in Szene gesetzt. Keiner dieser Kämpfe gleicht somit dem anderen.

Zugabe! Zugabe! Zugabe!

Sonic Mania Plus enthält im Vergleich zur Erstveröffentlichung von 2017 einige, zusätzliche Inhalte. Allen voran die passenderweise »Encore Mode« getaufte Zugabe. Es erwarten euch neu arrangierte wie kolorierte Variationen der bekannten Levels. Nicht nur ganze Abschnitte wurden verändert, sondern auch die Platzierung von Hindernissen und Widersachern. Markante Bereiche mit Wiedererkennungswert bleiben hingegen unverändert. Selbst wenn ihr Sonic Mania bereits besser als eure Westentasche kennt, dürft ihr euch hier auf reichlich Veränderung freuen. Das allein gereichte den Entwicklern aber noch nicht, denn sie garnieren das Ganze auch mit zwei neuen, spielbaren Charakteren: Gürteltier Mighty und Flughörnchen Ray gesellen sich ab sofort zum bekannten Aufgebot bestehend aus Sonic, Tails und Knuckles. Eingefleischte Sonic-Fans kennen die beiden Neuzugänge bereits aus dem 1993er Spielhallenauftritt »SegaSonic The Hedgehog» des blauen Igels.

Mighty zeichnet sich durch enorme Stärke aus und kann so durch Wänder durchbrechen, um völlig neue Bereiche freizulegen oder mittels einer Stampfattacke den Boden erschüttern. Dadurch ergibt sich ein gänzlich anderes Spielgefühl. Durch seine Fähigkeiten eignet er sich hervorragend, um die Spielwelten in Ruhe zu erkunden und auch noch deren letzte Geheimnisse zu offenbaren. Ray hingegen ist der heimliche Star des Geschehens. Ein wenig Übung vorausgesetzt, könnt ihr mit dem Flughörnchen ähnlich durch die Zonen gleiten wie Mario mittels seines Capes es in »Super Mario World« vormachte. Es gilt also regelmäßig Auftrieb zu gewinnen, um in der Luft zu bleiben. Einmal gemeistert, könnt ihr so ganze Akte einfach überfliegen und neue Bestzeiten aufstellen. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn einerseits benötigt ihr einiges an Übung, um Rays Flugtechnik zu meistern und andererseits ist eine gewisse Kenntnis der Levelarchitektur notwendig, um nicht unversehens in Hindernisse oder Badniks zu segeln. Dann aber erwartet euch ein gänzlich neues Spielgefühl!

Zu den bereits bekannten und weiter oben beschriebenen Bonus Stages gesellt sich der Sonic Flipperautomat. Darüber hinaus erwartet euch gar ein Vier-Spieler-Splitscreen-Modus und der Bosskampf gegen Metal Sonic wurde stark in Anlehnung an »Knuckles’ Chaotix« (32X, 1995) überarbeitet. Käufer der physischen Version erhalten neben einem schicken, holographischen Cover auch ein Wendecover im originalen Mega-Drive-Stil sowie ein 32-seitiges Artbook.

Fazit

Es ist schon ein wenig ironisch, dass ausgerechnet von SEGA engagierte Fans das mit Abstand beste Sonic-Spiel der letzten beiden Dekaden geschaffen haben. Das hat jetzt hoffentlich auch der letzte Schlipsträger bei SEGA im Notizbuch vermerkt. Noch nie hatte ich so viel Spielspaß mit einem Sonic-Titel wie ihn mir Sonic Mania Plus bietet. Nachdem ich das Spielprinzip verinnerlicht hatte, konnte ich gar nicht genug von der sagenhaften Geschwindigkeit und Kreativität der Levels bekommen. Bald schon rauschten deren Strukturen in einem wirren, bunten Lichtgewitter an meinen Augen vorbei, nur um mich in den kurzen, ruhigen Phasen mit deren liebevoller Pixelkunst abermals in ihren Bann zu schlagen. All das, während mir der treibende, ohrwurmverdächtige Soundtrack die Ohrmuscheln verwöhnte. Ein jeder der spielbaren Charaktere ändert mal mehr, mal weniger tiefgreifend das Gameplay und eröffnet neue Möglichkeiten auf der Jagd nach der Bestzeit oder nach den letzten Geheimnissen der verschachtelten Akte. Jeder Liebhaber von Plattformern soll, nein, muss sich Sonic Mania zu Gemüte führen!

Team verlassen im Mai 2020.

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