Tales from the Borderlands hätte ein Desaster werden können. Aus Borderlands, einer Serie die für ihr lockeres „Shoot’n Loot“-Gameplay, bekannt wurde, ein Adventure der Marke Telltale zu machen, ist ein nahezu wahnwitziger Ausflug in bis dahin unbekanntes Territorium. Zwar überzeugte der Developer schon mit seinen Iterationen anderer bekannter Namen (z.B.: The Walking Dead oder das durchwachsene Game of Thrones), jedoch passten diese Titel immer in ihr eingesessenes Schema cineastischer Sequenzen und Quick-Time-Events. Im November 2014 veröffentlichten Telltale Games dann ihre Interpretation des Borderlands-Universums und die erste Episode der Serie wurde einer der Überraschungshits des sonst schwachen Jahres 2014.
Aus Shooter mach Adventure
Derzeit gibt es eine rege Diskussion darüber, was denn eigentlich ein Spiel ist und ob sich Titel wie Dear Esther, The Stanley Parable oder die Telltale-Serien überhaupt als Videospiele definieren lassen. Zum Zweck dieser Review werde ich eben dieses Bombenfass nicht anrühren und Tales from the Borderlands im Vergleich zu anderen, bedingt interaktiven Spielen, beurteilen. Eines sei im Voraus noch gesagt: Wer sich selbst als mechanisch orientierten Spieler einstuft, sollte sich von Tales from the Borderlands, und allen weiteren Spielen dieses Genres, fern halten, denn bis auf spontanes Hämmern auf die Q-Taste gibt es kaum erwähnenswerte Spielmechaniken.
Alles beginnt mit unserem ersten Hauptcharakter Rhys (Troy Baker; Talion in Shadow of Mordor, Joel in The Last of Us), den man am besten als charmanten Tollpatsch bezeichnen könnte. Er läuft durch das pandorianische Ödland während er nach Fiona ruft. Ein maskierter Fremder taucht plötzlich auf und schlägt Rhys nieder, um ihn danach an einem Seil mitzuschleifen. Am Ziel des Entführers trifft man auf besagte Fiona (Laura Bailey) die, genauso gefesselt und gefangen wie Rhys, unseren zweiten Hauptcharakter gibt. Die beiden werden vom Unbekannten über ihre Geschichte ausgefragt. Hier finden wir schon die erste Besonderheit an Tales from the Borderlands: Die Geschichte wird aus der Sicht dieser zwei Protagonisten in zwei verschiedenen Zeitschienen erzählt.
Obwohl sich das kompliziert anhört, ist es im Spiel sehr leicht zu verstehen. Die eine Schiene befindet sich in der Gegenwart und erzählt von der Zweiten in retrospektive. Für die Schreiber bietet das viele Möglichkeiten mit Erwartungen und Sichtweisen zu spielen, was sie auch voll ausgenutzt haben. Immer wieder sieht man zuerst die subjektive Wahrnehmung des einen und dann die vollkommen konträre Perspektive des anderen, was viele clevere Momente im Spiel erst ermöglicht hat.

Bei weitem die meiste Zeit verbringt man in Tales from the Borderlands mit der Hauptstory. Spannend bleibt es durchwegs und selbst die oft schwächeren, mittleren Episoden bleiben die ganze Zeit über interessant.
Der männliche Akteur Rhys beginnt seine Geschichte auf der riesigen Mondbasis Helios. In dieser kapitalistischen Umgebung versucht er die Karriereleiter zu erklimmen, was sich aber als steiniger Weg herausstellt. Sein Boss Vasquez (Patrick Warburton; englische Stimme von Joe Swanson aus Family Guy) degradiert ihn, entgegen den Erwartungen, zum Hausmeister.
Rhys und sein bester Freund Vaughn, ein stereotyper Nerd, machen sich auf, ihrem grausamen Chef einen Multi-Millionen-Deal unter der Nase wegzuschnappen. Bei diesem Deal handelt es sich um einen Vault-Schlüssel. Dieser wird benötigt, um eine sagenumwobene und mit massenhaft Reichtümern gefüllte Vault zu öffnen.

Fionas Teil der Geschichte startet in ihrem Haus auf Pandora. An der Einrichtung – oder eher dessen Zustand – erkennt man leicht, dass sie kein luxuriöses Leben führt. Dort lernt man Felix, ihren Ziehvater, und ihre dickköpfige Schwester Sasha kennen. Die Patchwork-Familie verdient ihr Geld mit Trickbetrug, was in den ersten on-screen Minuten deutlich gemacht wird. Sie planen über Umwege einen gefälschten Vault-Schlüssel zu verhökern. Welcher Schlüssel das ist lässt sich nun schon vermuten. Von hier an beginnt das Indiana Jones-eske Abenteuer rund um Vaults, Intrigen und gefährliche Monster…
…und das funktioniert natürlich nur, wenn der Dialog in den Gesprächssequenzen spannend und humorvoll geschrieben wurde. Deswegen will ich diesen Abschnitt nutzen, um direkt auf die cineastische Qualität des Spiels einzugehen.
Mehr Film als Spiel
Zum größten Teil sind die Wortwechsel zwischen den bunten Charakteren sehr solide geschrieben. Was gesagt wird ist immer interessant genug, um gehört zu werden – davon könnten sich viele Developer eine Scheibe abschneiden. Wenn der Humor wirklich trifft, oder wenn ein spannender Abschnitt fließend und perfekt in einen Song übergeht, kreiert Tales from the Borderlands wirklich erstaunliche Momente. Story-technisch bleibt es bis zuletzt fesselnd, doch zugleich liegt ihr schwerstes Problem in ihrer Vorhersehbarkeit. Man merkt, dass die Schreiber einem Schema gefolgt sind, welches leicht verdaulich und damit auch verkäuflich sein soll.
Vorhersehbar oder nicht, die Charaktere sind, worin Tales from the Borderlands brilliert. Eine vielfältige Auswahl an knalligen, überzeichneten Figuren mit allerlei Stärken und Schwächen machen den Charme der Geschichte aus. Einige Nebenrollen wirken zwar so, als wären sie nur da, um dem Plot auszuhelfen (siehe Yvette), ihre Zahl beschränkt sich allerdings auf ein bis zwei, aus einer großen Sammlung. Und diese Auswahl zählt wiederum nur für (potenziell) alliierte Charaktere, die Antagonisten sind alle intelligent, und auf eine Weise natürlich, in die Geschichte verwoben. Jene Stellen, an denen man mit ihnen interagiert, sind die spannungsgeladensten des ganzen Spiels.

Die Bösewichte könnten natürlich nicht so gut funktionieren, wenn die zwei Hauptcharaktere, Fiona und Rhys, nicht so eine gute Chemie miteinander hätten. Wie das ungleiche Duo voneinander abspielt wirkt nicht künstlich, sondern wie eine reelle Freundschaft. Ihre zwischenmenschliche Beziehung hat eine organische Kurve – etwas, das vielen Charakterpaaren in Filmen und Videospielen fehlt.
Was allerdings für viele Spieler gewöhnungsbedürftig sein könnte, ist der Humor. Dieser spielt massenhaft, in bekannter Borderlands-Manier, mit popkulturellen Referenzen. Wer diese Referenzen nicht versteht, verliert einen erheblichen Teil des Charmes von Tales from the Borderlands. Für die Wertung macht das zwar keinen Unterschied, jedoch soll jeder gewarnt sein, der mit Popkultur wenig anfangen kann.
Die Grafik ist der von Telltale‘s The Walking Dead oder The Wolf Among Us sehr ähnlich. Das betrifft sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte. Der Grafikstil an sich spiegelt zwar perfekt Borderlands wieder und kaschiert viele der optischen Mankos, jedoch ist die Engine, das Telltale Tool, schon mehr als veraltet. An zig Stellen stechen einem nahezu einfarbige Texturflächen ins Auge. Die Modelle, vor allem die der Bösewichte, sind zwar schön anzusehen, aber es hakt noch immer bei den Animationen.
Die Filmsequenzen sind zwar super animiert und spiegeln teils tiefe Gefühle in der Mimik wieder, doch die meisten Probleme treten auf, wenn der Spieler mit der Welt interagiert. In Gesprächen passiert es oft, dass sich die Lippen des Sprechenden nur öffnen und schließen, wie der Mund eines Fisches. Und steife Gehzyklen sind besonders schwer anzusehen, wenn man langsam wie eine Schnecke, quer über den Bildschirm schleift. Zum Glück sind schwere Schnitzer nicht allzu häufig, denn die kleineren Fehler kann man dank der charmanten Aufmachung vergeben.


Quick-Time-Events sind spieltechnisch das Um und Auf in Tales from the Borderlands. Das liegt daran, dass es kaum Gameplay gibt. Bis auf zwei kleinere Mechaniken (Looten für Fiona und Scannen für Rhys) gibt es nichts zu tun, außer Gesprächsoptionen auszuwählen. Niemanden überrascht das, schlussendlich handelt es sich um Telltale. Allerdings tragen besagte Optionen nicht genügend Gewicht in der Geschichte, um als Mechanik durchzugehen. Spieler, die sich von Dialogen schnell gelangweilt fühlen, sollten klarerweise, diese Dinge überdenken, bevor sie sich das Spiel kaufen.
Fazit
Telltale ist ein Risiko eingegangen, als beschlossen wurde Tales from the Borderlands zu entwickeln. Ein Genrewechsel kann große Auswirkungen auf die Atmosphäre und das Spielgefühl eines eingesessenen Titels haben, doch die Geschichte rund um Fiona und Rhys beweist uns, dass mit guter Story und Charakteren auch aus Borderlands ein außerordentliches Adventure werden kann. Obwohl es an manchen Stellen, im speziellen bei den Animationen, noch zu mäkeln gibt, steckt an jeder Ecke so viel Charme und Liebe zum Detail, dass viele Mankos gar nicht auffallen. Für jeden, der über kleinere Fehler hinwegsehen kann, bietet Tales from the Borderlands eine humorvolle, unterhaltsame Erfahrung!
Peekaboo
Eine gute und fundierte Review! … und das Spiel kommt auf unsere Liste ;-)
PM & KG
Tobi
Klasse Review !!
Werde mir das Spiel zulegen. Gute Arbeit David.
Weiter so ;)