Das Ziel der Mission, ein ADVENT-Spezialist, ist tot. Nun heißt es auf in die Evakuierungszone. Nur noch zwei Züge bleiben bevor die ganze Map, inklusive meiner wertvollen Soldaten, in die Luft fliegt. Während ich meine Truppen in Richtung Sicherheit verschiebe, fällt mir ein unentdeckter Trupp von Sectoids in den Rücken. Ich kann mich nicht wehren, meine Aktionen sind alle aufgebraucht.

Das einzige, das mir bleibt ist die Hoffnung. Ein Sectoid verwendet seine Gedankenkontrolle um meinen besten Grenadier „Faust“ zu übernehmen, ein anderer verwundet meinen Sniper „Poncho“, woraufhin dieser in Panik ausbricht und sich hinter eine Ecke kauert. Als mein letzter Zug heranbricht fühle ich eine distinktive Mischung aus Freude und Graus, denn die Mission ist geschafft und vier meiner mir ans Herz gewachsenen Soldaten sind in Sicherheit. Doch mit dem Beenden der Mission ist der Tod von Poncho und Faust gewiss. Ich tue was ich tun muss, danach speichere ich das Spiel, schalte den PC aus und geh erstmal auf den Balkon eine Zigarette konsumieren, während ich über meine verlorenen Mitstreiter nachdenke. Ein normaler Abend mit XCOM 2.

Außerirdische Herrschaft

In der Hauptkampagne geht es darum den eisernen Griff, den die siegreichen Alien-Invasoren über die Menschheit haben, zu lösen. Das Ende des Vorgängers stimmt nämlich gar nicht, die Aliens haben eigentlich haushoch gewonnen und das Regieren fürs Erste übernommen. Daraufhin nennen sie sich ADVENT und fangen an auf der Erde zu renovieren. Neue Gebäude, neue Technologien und bessere medizinische Versorgung werden eingeführt. Die generelle Population gewöhnt sich schnell an die behüteten Lebensbedingungen und nimmt die extraterrestrische Herrschaft dankend an. Doch was sie nicht wissen: ADVENT führt doch etwas Schurkenhaftes im Schilde. Gut, dass nicht die ganze XCOM ausgelöscht wurde, denn die Überlebenden haben sich zusammengeschlossen um wieder einmal Sectoid und Co. eins auf den Deckel zu geben.

Die Grafik ist deutlich hübscher als im Vorgänger. Sowohl die Innenräume als auch weite, offene Maps sind detailreich gestaltet und deutlich sattere Farben hauchen dem Geschehen mehr Leben ein. Auch an den Modellen hat sich einiges getan, die zahlreichen Alien-Bösewichte wirken thematisch passend und zusammenhängend, alle behalten dabei aber ihren eigenen Charme.

Leider ist XCOM 2 geplagt von Grafikbugs, Glitches, langen Ladezeiten und Framedrops. Selbst high-end PCs bleiben nicht verschont. Ein Teil der Fehler rührt von der Action-Cam her, diese lässt uns bei Aktionen unseren Truppen und dem Gegner über die Schultern schauen. Viel zu oft bleibt diese hängen und verursacht Wartezeiten an Stellen, wo diese nicht nötig sein sollten. Mal steht die KI für mehrere Sekunden nur herum und wartet auf den Einsatz der Action-Cam, mal zeigt uns die Kamera einen Soldaten in 3rd-Person, nur um dann ewig in der Luft zu hängen. Gut, dass sich die Action-Cam im Optionsmenü ausschalten lässt, das Ruckeln und die zahlreichen anderen Fehler lassen sich jedoch nicht so leicht beheben. Mal sehen ob hier Firaxis nachbessert, oder ob‘s die Modder wieder mal richten müssen.

Wo wir schon beim Thema sind, XCOM 2 erscheint mit voller Mod-Unterstützung. Das bietet viele Möglichkeiten der Kreativität freien Lauf zu lassen. Schon in den ersten Tagen nach offiziellem Release werden unzählige Kreationen angeboten. Eine der Beliebtesten entfernt die maximale Zuganzahl aus dem Spiel – das haben sich die Developer sicher anders vorgestellt.

Die Gebäude und etliche andere Geländestücke lassen sich detailreich zerlegen.
Die Gebäude und etliche andere Geländestücke lassen sich detailreich zerlegen.

Der Kern des Spielprinzips von XCOM 2 besteht aus zwei Teilen. Einer davon ist der Aufbau und die Verwaltung der Avenger. Die ist der – neuerdings fliegende – Stützpunkt der XCOM-Zentrale und das Hauptaugenmerk wenn es um die Verwaltung von Ressourcen geht. Hier gibt man, wie gewohnt, neue Forschungen in Auftrag, kauft sich neue Ausrüstung und trainiert Soldaten zu psionischen Kriegern. Der Basisbau wurde stark vereinfacht, Satelliten und Abfangjäger wurden ganz gestrichen. Das stört den Spielfluss jedoch kaum, denn die neue Weltkarte fügt dem Spiel reichlich Komplexität hinzu.

Nun hat man die Auswahl zwischen einer Vielzahl von Ressourcendepots, die alle auf der Map verstreut sind. Sich diese einzuverleiben dauert allerdings eine gewisse Anzahl an Tagen und mit jeder Stunde die vergeht kann eine neue Mission oder ein ähnliches Event aufploppen und uns zwingen entweder zur Tat zu schreiten und unsere Ressourcen fürs Erste aufzugeben, oder die Konsequenzen für das Ignorieren der Aufgabe hinzunehmen.
Zeit ist ein Kernthema von XCOM 2. Jede Minute können die Aliens eine neue Schundtat für uns bereithalten, mal töten sie unschuldige Zivilisten, mal greifen sie die Avenger direkt an. Für weiteren Druck sorgen noch Dark Events und das Avatar-Projekt.

Erstere sind jeweils drei Ereignisse, die wir jeden Monat neu zugeteilt bekommen. Etwa, dass ein ADVENT-Ufo die Avenger verfolgt, oder die Aliens erhalten Giftmunition im Folgemonat. Diese Ereignisse können wir durch das Erfüllen von gewissen Missionen kontern, allerdings ist es unmöglich alle Dark Events aufzuhalten. Hier ist taktisches Auswählen des kleineren Übels gefragt. Nach etwa dem ersten Viertel der Spielzeit starten die Gegner dann das sogenannte Avatar-Projekt. Hierbei handelt es sich um eine geheime Superwaffe, deren Vollendung wir verhindern müssen.

Eine Messleiste auf der Weltkarte erscheint, die anzeigt wie nahe das Unheil schon ist. Ist die Leiste voll, endet das Spiel nach einer gewissen Zeit, abhängig vom Schwierigkeitsgrad. Wir können allerdings den Fortschritt eindämmen, indem wir Blacksite-Missionen erfüllen – das sind besonders schwere Aufgaben bei denen wir Alien-Fabriken zerstören müssen. Die sind zumeist schwer bewacht und vollgepackt mit garstigen Kontrahenten. Doch egal wie viele man davon ausschaltet, sie werden nach einiger Zeit immer wiederaufgebaut. Das Zentrum des Ressourcenspiels ist es also, dem Gegner so viel Fortschritt wegzunehmen wie nur möglich, während man versucht seine eigene Fraktion in Forschung und Rüstung voranzutreiben. Das macht riesig Spaß, vor allem auch weil die Aliens die Rolle des direkten Widersachers einnehmen – diesmal sind sie nicht nur Mobs, die man töten muss, sondern ein organischer Gegner, der genauso ums Überleben kämpft wie der Spieler.

Hier zu sehen: Die neue Weltkarte
Hier zu sehen: Die neue Weltkarte

Die zweite Seite der Gameplay-Münze ist natürlich der Kampf. Hier hat sich einiges getan. Das Grundprinzip der XCOM-Reihe bleibt zwar dasselbe – und wer dieses 2012 schon nicht mochte wird sich auch mit XCOM 2 nicht anfreunden – aber etliche Ecken und Kanten wurden abgerundet, um die Kämpfe so spannend und vielfältig wie möglich zu machen. Alle Klassen wurden grundlegend überarbeitet. Hier agierte Firaxis mit viel Geschick, denn alle Änderungen waren durchaus sinnvoll.

Zwar ist die Anzahl der verfügbaren Klassen und ihrer Fähigkeiten in etwa gleich, jedoch sind sie jetzt stärker ausgeprägt und spezialisiert. Der Sniper – eigentlich Sharpshooter, aber ich bleib dabei – bekommt jetzt die essentielle Fähigkeit „Squadsight“ schon auf dem ersten Level. Damit kann er auf alle Ziele schießen, die sich in der Blickreichweite seiner Kumpanen befinden, solange sie in seiner Sichtlinie sind. So sind Sniper schon im Early-Game nützlich und müssen nicht mehr ewig lange Erfahrungspunkte sammeln. Im Skill-Tree kann man zwischen einer klassischen Ausrichtung oder einem Revolverschützen wählen.

Diel Fähigkeit Serial lässt einen Sniper immer weiterschießen, solange jeder Schuss tödlich ist.
Diel Fähigkeit Serial lässt einen Sniper immer weiterschießen, solange jeder Schuss tödlich ist.

Grenadiere können jetzt mit der richtigen Skillung maximal drei Granaten mitnehmen und bis zu zwei davon pro Zug verschießen, was sie praktisch zu schwerer Artillerie macht. Spezialisten sind die neuen Supports und haben je eine heilende und eine hackende Ausrichtung, die beide ihre eigene Daseinsberechtigung haben. Vor allem aber hat mir das Heilen auf Entfernung gefallen, das rettet einem viele Nerven.

Zu guter Letzt gibt es noch Ranger. Die lösen Aussaults ab und bilden das Rückgrat der XCOM-Soldaten. Bewaffnet mit einem Schwert und Schrotflinte oder Gewehr, lassen sie sich als schleichende Flankierer oder tödliche Nahkämpfer ausbilden. Neben den Änderungen an den Klassen gibt es auch massenhaft neue Tools, Granaten und Rüstungen. Gift- und Säuregranaten dienen dazu den Gegner in Schach zu halten und ihm wichtige Stellungsmöglichkeiten wegzunehmen. Der Warsuit ersetzt den MEC aus Enemy Within und lässt einen Soldaten schwere Waffen wie Raketenwerfer benutzen.

Neu sind auch Waffenupgrades, die man als zufälligen Loot von Gegnern bekommt. Die sind nicht wirklich interessant, es gibt nicht viele Variationen und die wenigen die es gibt, sind direkte Upgrades zueinander. Nützlich sind sie trotzdem, denn ein größeres Magazin, oder mehr Trefferchance kann man immer brauchen. Ein nettes Detail ist, dass die Upgrades an den Waffen sichtbar sind und ganz schön was her machen.

Stimmiges Konzept

Ludonarrative Dissonanz ist ein Begriff, der derzeit in der Szene herumschwirrt und sich schnell verbreitet. Er umschreibt die Uneinigkeit zwischen Story und Gameplay in vielen Spielen. Wenn man zum Beispiel in GTA V zuerst den Wohltäter spielt, aber danach massenhaft Passanten mit einem Van überfährt, passt das nicht wirklich zusammen und kann einen aus der Atmosphäre reißen. Das ist dann ludonarrativ Dissonant. XCOM 2 ist das Gegenteil davon.
Die Kernelemente des Gameplays sind sehr gut auf das neue Szenario eingestimmt. Da die Perspektive von Verteidiger der Erde zu Semi-Terrorismus umgelenkt hat, schleicht man sich jetzt in den meisten Missionen durch zivilistengefüllte Zonen.

Solange man noch nicht entdeckt wurde, sieht man die Sichtreichweiten der ADVENT-Truppen und kann so zum tödlichen Erstschlag ansetzen. Auch die Missionstypen haben sich nach diesem Prinzip gerichtet, nun geht es darum unter Zeitdruck Ziele zu erfüllen und sicher zu evakuieren, oder man versucht ADVENT-Lieferfahrzeuge zu überfallen, um ihnen die Ressourcen zu stehlen.

Die Runden, in denen man Zivilisten retten muss, indem man sich neben sie stellt gibt es (leider) auch wieder. Leider, denn ein neuer Gegnertyp geht einem dort besonders auf die Nerven. Der Faceless ist eine verzerrte Masse aus pinkem Fleisch und hat die Angewohnheit aus Normalbürgern herauszubrechen wie in einem Horrorfilm aus den Achtzigern.

X_faceless (1)
Vielleicht ist ja auch gut, dass es dieser lebende Jumpscare ins Spiel geschafft hat, denn was wäre XCOM ohne eine vielfältige Meute von extraterrestrischen Ausgeburten.

Angepasst an das Rebellenszenario gibt es eine ganze Riege von neuen ADVENT-Truppen, praktisch eine Mischung aus Militär und Polizei.  Diese sind in Mengen vorhanden und können zahlreiche Subtypen haben, die ihnen andere taktische Stärken und Schwächen verleihen. Ein Stunlancer flankiert gerne mit seiner Nahkampfwaffe, ein Shieldbearer verleiht seinen Kollegen einen permanenten Schutzschild.

Da alle Standardrollen durch die Basistruppen der ADVENT gefüllt sind, haben die Entwickler die Chance ergriffen eine bunte Ansammlung an gewichtigen Gegnern zu erschaffen. Auch die „alten“ Gegnertypen wurden überarbeitet und durch die Bank aufgemotzt. Was früher kleine graue Männchen waren – die nach einem Treffer meist umkippten – sind jetzt stämmige Sectoids mit unzähligen HP, kampfstarken Waffen, und der Fähigkeit XCOM zu kontrollieren.
Die klassischen Thin Men haben während der Besetzung keinen Grund mehr sich als Mensch zu stellen, also zeigen sie jetzt ihre wahre Form, die Viper. Die kann arme Soldaten mit ihrer Zunge zu sich ziehen und daraufhin Stunnen, was viele Zigaretten auf dem Balkon gefordert hat.

Das größte Stück vom Frustkuchen hat sich aber der Andromedaner verdient. Der hat einen Haufen Rüstung, tragisch viel HP, er kann flächendeckend Säurebomben schießen und(!) wenn er stirbt steht er sofort wieder mit vollem Leben auf, zieht aber diesmal eine Säurespur hinter sich her.
Da ist der Aschenbecher voll.

X_adv (1)
Die ADVENT-Truppen stellen den Kern der Alien-Streitmacht.
X_muton
Mutons sind auch wieder dabei, nur diesmal noch größer und böser.

Negativ fällt auf, dass das Tutorial sehr restriktiv ist, jeden Zug bekommt man vorgekaut bis man alle Basismechaniken verdaut hat. Für neue Spieler erklärt das zwar super das Spielprinzip, allerdings braucht man ein bisschen Zeit und Geduld um jenes durchzustehen. Schade, dass die Trainingsmission einen interessanten Teil der Story beinhaltet, denn so mancher wird das Tutorial bestimmt ausschalten.

Einen Multiplayer-Modus gibt es auch. In dem kauft man sich mit einem fixen Budget Teams von Aliens und menschlichen Soldaten ein – inkludiert sind alle Einheiten aus dem Singleplayer und verschiedene Skillungen der Klassen von XCOM. Unter einem knappen Punktemaximum muss man gut darüber nachdenken welche Einheiten man kaufen will und wie das Team zusammengestellt werden muss – ähnlich wie in Pokemon. Der Multiplayer fühlt sich gut an, weil man all die Gegner Andromedaner verwenden darf, die einem im Kampagnen-Modus auf die Nerven gehen. Mit Fähigkeiten wie dem Übernehmen der feindlichen Einheiten und flächendeckenden Giftbomben kann man dem Gegner viel Schmerz zufügen und man fühlt eine innere Befriedigung beim taktischen Zerlegen von echten Spielern. Bei so starken und fiesen Attacken kann allerdings auch schnell die Balance kippen. Ob es damit klappt kann nur die Zeit zeigen, während meiner Runden fiel mir allerdings nichts auf.

Probleme hat der Multiplayer eher mit dem Umfang. Es gibt zwar auch einen Ranked Modus mit Rangliste, aber keine alternativen Spielmodi. Außerdem ist die Liste der auswählbaren Einheiten deutlich länger als in XCOM: Enemy Unknown, jedoch gab es zu wenig Abwechslung um mich auf lange Zeit zu motivieren. Das macht aber auch nix, eindeutig ist der Singleplayer der Fokus des Spiels. Schade ist es trotzdem, man könnte viel mit dem System machen.

Fazit

XCOM 2 hätte auch eine sichere Standardfortsetzung sein können. Anstatt dessen hat Firaxis viel Mühe in die sinnvolle Verarbeitung eines frischen Szenarios gesteckt. Das hat sich auch ausgezahlt, denn die jetzige Iteration ist nicht nur kreativ und mutig mit den neuen Ideen, sondern auch mechanisch besser als der Vorgänger. Das Design der Gegnertypen ist exzellent und das Spiel versteht, an welchen Stellen Komplexität oder Zugänglichkeit gefordert ist.

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