Die Spielschmiede „Failbetter Games“ war bisher vor allem für sehr textlastige und düstere Browserspiele, in denen man beispielsweise dem Teufel seine Seele verkauft oder Geld auf rennende Pilze setzt, bekannt. Mit „Sunless Sea“ haben sie im vergangenen Jahr den nächsten Schritt gewagt und ein Spiel herausgebracht, dass die altbewährten Zutaten in ein echtes Game packt. Wie das gelungen ist, erfahrt ihr hier.

Als ich vor einigen Monaten das erste Mal Screenshots zu „Sunless Sea“ sah, darauf ein kleines Schiffchen, das auf einem dunklen Ozean rumtuckerte und unter der Oberfläche des schwarzen Wassers ein monströses Auge, hatte ich das Game ebenso schnell wieder vergessen. Auf Piraten- und Seefahrerspiele im Fantasysetting hatte ich keine Lust. Ich war ein Narr.

Wir stechen in Zee

Das Setting von „Sunless Sea“ ist nämlich, wenn es am Anfang auch ein wenig ungewöhnlich erscheint, einzigartig und macht allein schon aus dem Spiel ein kleines Juwel. Angesiedelt im Universum von „Fallen London“, der Hauptstadt Englands also, die allerdings ein etwas weniger glückliches Schicksal erlitten hat als das London, wie wir es kennen. „Fallen London“ ist nämlich – Nomen est wieder mal Omen – am Ende des 19. Jahrhunderts von höllischen Fledermäusen in den sprichwörtlichen Abgrund getragen worden.

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Passiert ist den armen Londonern also genau das, was man sich für Justin Biebers Musikkarriere gewünscht hätte. Aber das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof und die Bewohner Londons haben sich, weil sie nicht anders konnten, mit dem Schicksal, das sie erbarmungslos in höllische Tiefen befördert hat, abgefunden und das Beste daraus gemacht. So befahren Londons emsige Seebären den schwarzen Ozean in ihrem neuen, unterirdischen Zuhause. Und einer dieser wagemutigen Kapitäne der dunklen Welt, zu der die Sonne nie durchdringt, ist – genau – der Spieler.

Esst eure Crew

So startet man, nachdem man seinen Charakter rollenspielmässig kreiert hat, mit seinem ersten Schiff, kaum besser als eine etwas grössere Nussschale, in den Häfen von London die allererste Erkundungsreise. Der weiträumige Ozean im Vorhof der Hölle hat es natürlich in sich und ist etwas spannender als ein Ausflug an die Nordsee. Monster, Wahnsinnige, Piraten und untergegangene Zivilisationen, sogar Orgien feiernde Mönche, bevölkern die zahlreichen Inseln und Untiefen der Unterwelt.

Der Spieler und Kapitän des Schiffes muss sich dabei nicht nur um einen vollen Tank und Nahrungsmittel für seine Crew sorgen, sondern auch gegen den alltäglichen Wahnsinn kämpfen, der einem auf den Bootstouren begegnet. Im wahrsten Sinne des Wortes: Wer dem dunklen Ozean allzu lange ohne einen erholsamen Aufenthalt in der Heimatstadt und dem Ausgangspunkt aller Reisen, London, ausgesetzt ist, wird geisteskrank. Dann kann es schon mal passieren, dass man gefallenen Göttern begegnet oder leckeren Gulasch aus seinen Crewmitgliedern macht.

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Auch sonst bietet der Ozean, an dessen Küste das unglückselige London liegt, einige Überraschungen. Aber wie so oft, ob im realen Leben oder programmierten Fantasywelten, spielt das liebe Geld eine überlebenswichtige Rolle. Etwa, wenn man auf längeren Reisen in weit entlegenen Häfen frischen Proviant kaufen muss. Geld verdienen ist, zumindest am Anfang, ziemlich schwer. Handel, Spionage, Schmuggel und die Jagd auf ziemlich unfreundliche Krabben und andere Monster bessern eure Geldbörse allerdings auf. Doch ehe ihr euch verseht, merkt ihr auch schon, dass ihr euer Schiffchen aufrüsten müsst oder das Geld in Piratenhochburgen versäuft, um eure geschundene Seele etwas zu beruhigen. Kein Alkohol ist bekanntlich auch keine Lösung.

Mit den Erkundungsreisen und dem Wissen, das man sich bei seinen Fahrten aneignet, lassen sich mit der Zeit zahlreiche Fähigkeiten aufbessern, die den Aufenthalt auf hoher See etwas erträglicher machen. Tatkräftig unterstützt wird man dabei von seinen Offizieren – das sind einzigartige, anheuerbare Crewmitglieder, die spezielle Fähigkeiten besitzen. Wie alles, was euch nur irgendwie beim Überleben unterstützt, ist das äusserst wichtig – wer einmal tot ist, der bleibt tot. Und wer nicht in weiser Voraussicht für einen Nachkommen und Erben gesorgt hat, nun, bei dem ist Hopfen und Malz in den Tiefen des schwarzen Ozeans unauffindbar verloren.

Lovecraft’sche Ästhetik

Die Grafik des Spiels ist schlicht, aber äusserst atmosphärisch. Man sieht sein Schiffchen von oben herab über den dunklen Ozean tuckern und steuert es von einer handgemalten Insel zur anderen. Die Interaktionen in den Häfen und mit der Umwelt sind dabei – ich fürchte, ich untertreibe jetzt- sehr textlastig. Das dürften einige bereits aus anderen Spielen kennen, aber selten wurde das so gut und lyrisch gemacht wie in diesem Game. Man hat zeitweise das Gefühl, man lese eine der Schauergeschichten von H.P. Lovecraft, dem Meister des subtilen Schreckens.

Viel von der Faszination des Spiels liegt zwischen den Zeilen und in der Vorstellung des Spielers. Plumper Horror ist hier nicht zu finden, sondern tief in Mark und Bein gehendes Unbehagen. Grundvoraussetzung, um dieses Spielerlebnis aber auch tatsächlich zu empfinden, sind sehr gute Englischkenntnisse, denn bis dato gibt es keine deutsche Übersetzung und voraussichtlich wird es auch keine in absehbarer Zeit geben.

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Kein Englisch muss man hingegen können, um den Sound zu geniessen. Der ist perfekt auf die Einsamkeit und die Ödnis, den Schrecken und schleichenden Wahnsinn der Unterwelt abgestimmt.

Fazit

Man muss „Failbetter Games“ eigentlich schon dafür lieben, dass sie in einer Zeit, in der vor allem halbherzige Indiegames mit aufgezwungenem Retrocharme hingeklotzt werden, eben ein solches, ein vollkommen anderes Indiegame auf den Markt bringen. Eins, das äusserst textlastig ist, seine Wirkung subtil und schleichend, aber langsam, ins Gehirn des Spielers einbrennt. Denn es ist klar, dass „Sunless Sea“ keinesfalls einen Massengeschmack ansprechen wird. Wer sich darauf einlässt, erlebt allerdings ein Stück Technik, das weit mehr als das ist – nämlich Magie, Lyrik und eine Stimmung, die ihresgleichen sucht. Und auf ein DLC kann man sich auch freuen. Darin wird man, so zwitschern die Vögelchen, noch tiefer in den höllischen Ozean eindringen und näher an den Wahnsinn kommen. Bis man irgendwann mal mit rasiertem Kopf und Schirm auf die Kundschaft an einer Tankstelle losgeht.

Ivan wohnt direkt über einem Döner-Schnellimbiss. Das ist durchaus vorteilhaft, wenn man seine Zeit mit wichtigeren Dingen als Kochen - beispielsweise über Videospiele schreiben - verbringen will.

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