Der von dem amerikanischen Schriftsteller H.P. Lovecraft in den 1920er Jahren erdachte Mythos von den »Großen Alten«, die seit mehreren Milliarden Jahren auf der Erde wandeln, wird noch heute von zahlreichen Autoren aufgegriffen und stetig erweitert. In den Geschichten geht es um grauenhafte Kreaturen, bizarre Wissenschaft und um dunkle Kulte, die versuchen, das Ende der Welt herbeizuführen. Auch in der Popkultur hat der Cthulhu-Mythos inzwischen Einzug gehalten, darunter in Filmen wie »From Beyond«, in den »Alone in the Dark«-Games und in unzähligen Heavy Metal-Songs. Ein besonders populärer Vertreter dieses Horror-Universums ist das in den 80ern kreierte Pen-&-Paper-Rollenspiel »Call of Cthulhu«, das bereits 2005 als Grundlage für das Action-Adventure »Dark Corners of the Earth« diente. Nun hat das französische Cyanide Studio die gruselige Mythologie als narratives Horror-Rollenspiel umgesetzt.

Aus der Großstadt in die Finsternis

Edward Pierce ist mehr oder weniger am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Traumatisiert von den Schrecken des Ersten Weltkriegs versucht sich der alkohol- und tablettenabhänige Kriegsveteran im Boston des Jahres 1924 als Privatdetektiv über Wasser zu halten. Die Auftragslage ist überschaubar, bis ihn eines Tages der Industrielle Stephen Webster aufsucht. Dessen Tochter ist mitsamt ihrer Familie in einem Feuer umgekommen, doch Webster glaubt nicht an einen Unfall. Edwards Untersuchungen führen ihn auf die düstere Insel Darkwater, deren Blütezeit als Walfang-Gemeinde schon viele Jahre zurück liegt. Nun lungern hier arbeitslose Fischer in den Gassen herum, in denen die Gangsterbraut Cat für Angst und Schrecken sorgt. Die Ermittlungsarbeit gestaltet sich schwieriger, als gedacht. Und das ist nur der Anfang!

Darkwater (und die Grafik) wirken nicht gerade einladend

Bluffen oder Zuschlagen?

In den ersten zwei Stunden des gut 10-stündigen Abenteuers befragen wir die Inselbewohner nach Informationen, durchstöbern jede Ecke nach Fundstücken und brechen in ein Lagerhaus ein. Dabei führen oft mehrere Wege zum Ziel, je nachdem, wie gut unsere Fähigkeiten Entdeckung, Stärke, Ermittlung, Psychologie und Redegewandtheit ausgebildet sind. Diese können wir mit Charakterpunkten steigern und so Antworten in Gesprächen freischalten, verborgene Gegenstände finden, Schlösser knacken oder mit roher Gewalt vorgehen. Die benötigten Charakterpunkte erhalten wir mit fortschreitender Handlung automatisch und können sie je nach Vorlieben verteilen. Unser Wissen über Medizin und Okkultismus erhöht sich dagegen nur durch gefundene Bücher.

In der Anfangszeit nimmt vor allem das Untersuchen von Tatorten einen Großteil unserer Aufmerksamkeit ein. Dabei klicken wir lediglich bestimmte auffällige Markierungen an und lauschen Edwards Ausführungen, die oft nicht ganz nachvollziehbar sind. Warum ein Kaffeefleck auf dem Boden nun darauf hinweist, wer sich wie lange unterhalten hat, weiß nur der Wind. Hier verpasst »Call of Cthulhu« eindeutig die Chance, ein spannendes Detektivspiel zu sein, was den Einstieg tatsächlich etwas langweilig macht. Interessanter wäre eine Mechanik im Stil von »Sherlock Holmes: The Devil’s Daughter« gewesen, wo Sherlock nur die Indizien sammelt und wir als Spieler diese deuten müssen. So aber passiert zu lange zu wenig.

Wir kommen einem finsteren Kult auf die Spur

Wenn das Rollenspiel kaum eine Rolle spielt

Bald erkunden wir dann aber düstere Herrenhäuser sowie uralte Höhlensysteme und kommen schließlich einem finsteren Kult auf die Spur. Von da an hat der Spieler endlich etwas Richtiges zu tun. Es gibt Schleichpassagen in einer Irrenanstalt, Rätseleinlagen in einem verlassenen Buchladen und Begegnungen mit einem Dämonen, den wir »Alien Isolation«-mäßig aus dem Weg gehen müssen, indem wir uns in Schränken verstecken. Trotz solcher spannender Highlights schafft es »Call of Cthulhu« aber auch im weiteren Spielverlauf nicht vollends, uns spielerisch zu packen. Das liegt zum einen an den räumlich begrenzten Schauplätzen, in denen es einfach viel zu wenige Interaktionsmöglichkeiten gibt. Immer wieder irren wir ziellos durch recht sterile Räume und suchen nach Werkzeug, Bauteile oder Schlüssel.

Bei Edwards Ermittlungen sind wir nur Zuschauer

Zum anderen stehen uns in den Gesprächen zwar bald die verschiedensten Antwortmöglichkeiten zur Verfügung, letztendlich merken wir aber gar nicht, was an der psychologischen Antwort nun besser sein soll, als an der redegewandten. Überhaupt sind die Gespräche im Spiel zu schlicht geraten, um wirklich ins Gewicht zu fallen. So bleibt der Rollenspielanteil eher eine nette Dreingabe, die letztendlich ohne wirkliche Konsequenzen bleibt. Die echten Entscheidungen, die zu einem guten oder schlechten Ende führen, fällt der Spieler ohnehin bewusst.

Später zückt Edward sogar seinen Colt

Unbeständiger Grusel

Auch erzählerische Schwächen nehmen dem durchaus atmosphärisch inszenierten Spiel die Intensität. Nach einer gewissen Spielzeit springen wir immer wieder in den Körper anderer Charaktere und bewältigen mit ihnen Aufgaben, die mit Edward nur am Rande zu tun haben. Durch diesen Kniff wird die Handlung des Spiels zwar komplexer, die sprunghafte Inszenierung verhindert aber, dass der zunehmend labiler werdende Geisteszustand von Edward die Wirkung entfalten kann, die Cyanide Studio dem Element zugedacht hatte. Der Verstand der Hauptfigur nimmt laut Entwickler nämlich einen wesentlichen Teil der Spielmechanik ein, was sich unter anderem in Panikattacken und verwirrenden Mindfuck-Passagen bemerkbar macht.

Da wir aber immer wieder in andere Situationen springen und Edwards Zustände aus dem Spiel verschwinden, verpufft der wirkungsvolle Effekt leider. Hier wäre es besser gewesen, wenn die Geschichte stringenter bei Edward geblieben wäre, so dass auch der Spieler im besten Fall von dem Wahnsinn mitgerissen worden wäre.

Eine Irrenanstalt gehört zu jeder guten Cthulhu-Geschichte

Call of Cthulhu: Fazit

Als großer Cthulhu-Fan bin ich wirklich begeistert darüber, dass sich ein Spiele-Entwickler endlich wieder dieser Thematik angenommen hat. Insgesamt hat Cyanide Studio wirklich tolle Arbeit geleistet und eine Geschichte entwickelt, die alle Zutaten des Cthulhu-Universums in sich vereint und sogar bekannte Namen und Artefakte einbaut. Leider kann das Spiel aber als Gesamtpaket nicht überzeugen. Das beginnt bei der eher mauen Grafik und endet bei spielerischen und erzählerischen Schwächen. Der Detektiv-Modus verdammt uns zum Zuschauen, der Rollenspielanteil ist eher eine nette Dreingabe und die Horror-Elemente halten sich insgesamt in Grenzen.

Dass ich eben noch in einem stockdunklen Anwesen verängstigt vor einem Dämonen getürmt bin und im nächsten Kapitel plötzlich am helllichten Tage als Krankenschwester einen Aufseher ablenken muss, ist zwar schön erzählt, die Atmosphäre geht dabei aber flöten. Mir wäre eine straightere Erzählung lieber gewesen, die sich auf den konsequenten Abstieg der Hauptfigur in den Wahnsinn konzentriert. So ist »Call of Cthulhu« insgesamt ein gutes, unterhaltsames Spiel geworden, das einige Highlights, aber auch immer wieder Leerlauf bietet.

  • Cyanide Studio
  • PS4/Xbox One/PC
  • Bereits erhältlich
  • Ca. 50 Euro
Sebastian ist mit dem KC 85 und dem C 64 aufgewachsen und noch heute heimlich in Maria von den Great Giana Sisters verknallt. Jeder seiner Versuche, nun endlich mal erwachsen zu werden, wird regelmäßig vom Release des nächsten RPGs oder Open-World-Titels zunichte gemacht.

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