»Es passieren seltsame Dinge, wenn man eine Sitcom über Videospiele macht«
Mythic Quest auf AppleTV+ ist die erste Serie über Games. Ein Gespräch mit Chef-Autorin Megan Ganz über narzisstische Bosse, starke Frauen und Hakenkreuze aus Penissen.

Megan Ganz, 36 Jahre alt, geboren in Ann Arbor (Michigan), arbeitete zunächst als Redakteurin für die Satire-Publikation »The Onion«, bevor sie 2009 zum Fernsehen wechselte, wo sie unter anderem für »Community«, »Modern Family« und »It’s Always Sunny in Philadelphia« schrieb. 2019 entwickelte sie mit Rob McElhenney und Charlie Day die Sitcom »Mythic Quest«. Staffel 1 & 2 könnt Ihr aktuell bei Apple TV+ sehen.  

Megan, kannst du mir erzählen, wie »Mythic Quest« entstanden ist?

Einer der Gründe, warum ich bei »Mythic Quest« gelandet bin: Ich bin von »It‘s Always Sunny in Philadelphia« besessen. Ich schaue die Serie, seit sie im Fernsehen läuft und habe wirklich jedem erzählt, dass ich »Sunny« liebe. Irgendwann haben es auch die Macher der Serie mitbekommen. In der 12. Staffel hatte ich schließlich ein Vorstellungsgespräch und wurde eingestellt, um für »Sunny« zu schreiben. So lernte ich Rob McElhenney, den Co-Schöpfer von »Sunny« und »Mythic Quest«, kennen. 

Wer kam auf die Idee, eine Serie zu machen, die in der Spieleentwicklung spielt? Auf den ersten Blick scheint das eine ungewöhnliche Wahl zu sein.

Es ging eigentlich von Ubisoft aus. Sie waren große Fans von »Sunny«, traten an Rob heran und sagten ihm, dass es möglicherweise eine ›Workplace Comedy‹ geben könnte, die in der Welt der Spieleentwicklung angesiedelt ist. Er sagte ab, weil er nichts darüber wusste. Sie luden ihn daraufhin in ihre Studios nach Montreal ein, um sich dort umzusehen. Nachdem er einen Tag bei Ubisoft verbracht hatte, sah er diesen ganzen Cast von Charakteren und fand die verschiedenen Facetten der Spieleentwicklung spannend – beispielsweise, wie hoch der Stress und die Einsätze sind. Unzählige Menschen haben potenziell Zugang zu diesen Spielen und werden sie spielen. Und das bedeutet, dass auch unzählige Menschen ihnen mitteilen können, dass sie es nicht mögen. Außerdem sind sie der Laune dieser jungen YouTuber ausgeliefert, die ihre Spiele in Reviews abschlachten und nicht zweimal darüber nachdenken. Rob sah das Potenzial für eine Comedy-Serie. Also kam er zurück und sagte: »Ich glaube, das wird funktionieren.« Er hat mich mit einbezogen und so fingen wir an, diese Serie zu entwickeln.

Du, Rob und Charlie Day [Co-Schöpfer von »Mythic Quest«] seid also in diese ganze Gaming-Kultur hineingeworfen worden?

Ja, wir hatten zwar alle Videospiele gespielt, als wir jünger waren. Wir hatten allerdings keine Vorstellung davon, wie Spiele entwickelt werden oder wer dafür verantwortlich ist. Zum Glück kam Ubisoft als Partner und Produzent mit ins Boot. Dadurch haben wir Leute im Autorenraum sitzen, die in der Spieleentwicklung arbeiten. An sie können wir uns wenden und fragen, wie sie dieses und jenes angehen würden. Oft stellen wir dabei fest, dass die Welt der Videospiele immer wieder die gleichen Dinge beinhaltet wie jeder andere Arbeitsplatz. Wir müssen also nur die Substantive spezifisch auf Videospiele anpassen. Wenn ein Haufen wirklich leidenschaftlicher Leute an einem Projekt zusammenarbeitet, wahrscheinlich kennst du das von deinem Magazin, gibt es große Egos, die aufeinander prallen. Am Ende des Tages versucht man aber, ein Produkt zu schaffen, an das man wirklich glaubt. Das ist es, was diesen wirklich verrückten Haufen von Leuten zusammenhält und zu einer Einheit werden lässt. 

Selbstbewusst bis zur Schmerzgrenze: Poppy Li (Charlotte Nicdao) und Ian Grimm (Rob McElhenney). Foto © Apple TV+

Was ist für dich der rote Faden, der sich durch alle Episoden zieht?

Ich denke, man braucht eine Menge Leidenschaft, um diese Projekte zu machen, und das bringt gute und schlechte Dinge mit sich: Ego und Hitzköpfigkeit, Ärger, Groll und Kleinlichkeit und all diese Dinge. Am Ende des Tages bringt diese Leidenschaft aber auch Talent, Antrieb, Ehrgeiz und Größe mit sich – und die Fähigkeit, eine ganz eigene Welt für das Publikum zu erschaffen. In unserer Serie geht es darum, wie man mit diesen Dingen umgeht und wie erfolgreich man sie zum Wohle des Produkts ausbalancieren kann. Wir versuchen, sowohl Poppy Li als auch Ian Grimm [die Hauptfiguren der Serie] damit kämpfen zu lassen. Es ist nicht so, dass einer von ihnen wirklich gut darin ist und der andere ist schrecklich. Sie sind beide schlecht darin. Aber wie jedes Elternpaar, das versucht, ein Kind zu erziehen, müssen sie ihre Differenzen beiseiteschieben und das tun, was das Beste für ihr Kind ist. Ich empfinde die Serie damit als eine Art Liebesbrief an die Leute, die sich selbst als gebrochene, verletzliche Menschen sehen und versuchen, über ihre eigene Gebrochenheit hinauszuwachsen, um etwas Großes zu schaffen. Das ist es, was auch wir bei der Produktion der Serie tun.

Du hast 2018 eine Rolle in der #MeToo-Bewegung gespielt. Ich spreche von deinem öffentlichen Austausch via Social Media mit Dan Harmon (»Community«, »Rick and Morty«), der sich dann öffentlich bei dir entschuldigt hat. Glaubst du, dass dies deine Arbeitsweise beeinflusst hat? Ich frage, weil gerade »Mythic Quest« voller nuancierter, starker und zugleich verletzlicher, weiblicher Charaktere wie Poppy Li ist. 

Klar hat es mich beeinflusst. Ich würde sagen, dass die Entschuldigung und meine Akzeptanz der Entschuldigung es mir ermöglicht haben, ein schmerzhaftes Kapitel meines Lebens zu schließen. In meinem ersten Job als TV-Autorin wurde mein Vertrauen in meine eigenen Talente massiv infrage gestellt. Ich dachte: »Bist du wirklich nicht gut darin? Vielleicht wird das [was Harmon wollte] immer der Grund sein, warum die Leute dich einstellen.« Das beeinträchtigte mein Selbstvertrauen für eine lange Zeit und ich wechselte in mehrere andere Jobs. Ich war nervös, weil ich den Urteilen der Leute zu meiner Arbeit nicht mehr trauen konnte. Und wenn man dem Feedback der Leute nicht vertrauen kann, ist es wirklich schwierig, an die eigene Arbeit zu glauben. Als ich Rob traf, war das ein großer Moment. Bei der Arbeit an »Sunny« hatte ich das erste Mal das Gefühl, einfach nur eine Autorin in einem Autorenzimmer zu sein. Ich hatte nie das Gefühl, dass jemand etwas anderes von mir wollte, als einfach nur einen guten Job zu machen. Und das hat mir erlaubt, langsam wieder Selbstvertrauen aufzubauen. 

Das Großartige an Poppy als Figur und der Grund, warum es für mich sehr kathartisch ist, sie zu schreiben: Poppy hat immer Vertrauen in ihre Talente. Sie würde nie zulassen, dass es erschüttert wird. Sie weiß, dass sie wirklich gut im Programmieren ist. Niemand kann ihr das jemals nehmen. Ihr Problem ist eher, dass sie nicht gut mit Menschen kann. Sie zu schreiben, war für mich ein Experiment, bei dem ich versucht habe, mir vorzustellen: Was wäre, wenn ich eine Quelle des Selbstbewusstseins hätte, auf die niemand sonst zugreifen könnte? Eine, die nichts damit zu tun hat, ob andere Leute mich lustig finden oder denken, dass ich meinen Job gut mache. Etwas, das so sehr in mir selbst verankert ist, dass das Vertrauen in mich unerschütterlich ist. Ich denke, dass es manchmal einfacher ist, Figuren zu schreiben, die sich so verhalten, als selbst diese Person zu sein. Es war außerdem einfach für mich, über eine Frau zu schreiben, die für einen egomanischen Narzissten arbeitet, weil ich das in meinem Leben schon ein paar Mal gemacht habe. 

Im letzten Jahr hat #MeToo auch die Spieleindustrie endgültig erreicht. Unter anderem bei Ubisoft in Frankreich wurden viele fürchterliche Details über sexuelle Gewalt und toxische Männlichkeit öffentlich. Ist das etwas, das ihr auch in der Serie thematisieren könnt?

Wir versuchen, die Realitäten der Gaming-Industrie direkt anzusprechen, denn sie spiegeln sich im Moment in vielen verschiedenen Branchen wider. Um eine sehr authentische Show über Spieleentwicklung zu machen, können wir diese Dinge nicht beschönigen. Das Gaming-Publikum mag es nicht, wenn man sich anbiedert – sie riechen Bullshit aus einer Meile Entfernung. Wir haben über die mangelnde Vertretung von Frauen in der Branche gesprochen, über gewerkschaftliche Organisation und Crunch. Wir versuchen, diese Themen, über die man nur schwer reden kann, auf eine lustige Art und Weise anzugehen. Nur so entscheiden wir, ob wir über ein bestimmtes Thema sprechen werden oder nicht: Können wir es auf eine lustige und unbeschwerte Art und Weise angehen? Denn ich habe das Gefühl, wenn man den Leuten etwas predigt, nehmen sie die Informationen nicht auf, weil sie das Gefühl haben, dass man sie nur belehren will. Zum Glück waren Ubisoft und Apple sehr offen dafür, dass wir uns mit diesen Dingen auseinandersetzen. Sie verstehen, dass wir darüber reden müssen, wenn wir wollen, dass die Leute uns als echte Sendung über Spiele und Spieleentwickler akzeptieren. Sonst würden die Leute sagen, dass wir reine Lobhudelei betreiben. 

Das vollständige Interview mit Megan Ganz gibt es in der Ausgabe 17. Jetzt bestellen!

Arno, Kulturhistoriker, ist derzeit gemeinsam mit Eugen Pfister im Projekt »Horror-Games-Politics« an der Hochschule der Künste Bern beschäftigt. Dort beschäftigt er sich vorrangig mit Repräsentationen biomedizinischen Wissens in popkulturellen Artefakten.

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