Selten war ein Spiel so wunderschön aktuell und doch so hoffnungslos hinter modernem Gamedesign zurückgeblieben. Warum mich »Ghost of Tsushima« enttäuscht ins Jahr 2010 zurückführt.

Es war in aller Munde als finaler First-Party-Titel dieser Generation für die PlayStation 4, als letztes großes, von Sony selbst veröffentlichtes Spiel also. Als würdiger Abschluss einer seit 2013 aufgebauten Reihe an erstklassigen Exklusivtiteln wird es emporgehoben wie die Standarte eines mächtigen Feldherrn. Das Aushängeschild von Sonys technischer Rafinesse und mit Sicherheit einer der ersten Titel, der ein Upgrade auf eine noch beeindruckende PlayStation 5-Version bekommen wird. Die Rede ist natürlich von »Ghost of Tsushima«.

»Ghost of Tsushima« ist eines jener wenigen Spiele, die eine hitzige, aber von Beginn an vergleichsweise nuancierte Debatte provozierten. Ihr Fokus war der im Spiel dargestellte japanische Nationalismus, der sich in westlichen Medien (wie es auch Tsushima eines ist) schnell in japanischen Exzeptionalismus wandelt. Während japanische Berichterstattung und Rezension der Ausrichtung des Spiels größtenteils positiv gegenüberstand, fiel die Kritik insbesondere von japanischen Auswanderern in den USA und anderen asiatischen Ländern schärfer aus.

All das hat überhaupt erst mein Interesse an »Ghost of Tsushima« geweckt. Die schönen Landschaftsbilder und ruhigen Momenteaus der Werbung und den Twitter-Feeds meiner Freunde machten mich auch an, das gebe ich zu. Aber so richtig wollte ich Tsushima nur spielen, weil ich es in diesem Spannungsfeld mit einer Japanologin und Historikerin gemeinsam erleben konnte. Eine eigenen, fachlich untermauerten Einblick in das Reibungspotenzial »Ghost of Tsushimas« zu bekommen fand ich spannend. Also habe ich es mir zum Geburtstag schenken lassen.

Wunderschöne Aussichten täuschen über spielerische Schwächen nicht lange hinweg.

Obwohl sich all das bisher wie der Auftakt zu einem kultur- und geschichtskritischen Essay liest, muss ich alle Hoffnungen in diese Richtung nun platzen lassen. Nach einem knappen Dutzend gemeinsamer Stunden auf der südlichen Inselhälfte Tsushimas entschlossen sich meine Historikerin und ich, den Controller ruhen zu lassen. »Ghost of Tsushima« ist ein solch störrischer Sturm im spielerischen Wasserglas, dass wir zur Kulturkritik überhaupt nicht kamen. Ich kann also nichts dazu sagen, wie die Darstellung der mongolischen Invasoren anti-nationalistischen Strömungen, die es in Japan schwer genug haben, schaden kann. Denn in die Knie gezwungen hat mich nicht Kublai Khans fiktiver Cousin Khotun, sondern viel von dem, was »Ghost of Tsushima« laut anderen Meinungen so gut macht.

Jeder Kampf schmerzt

Die meiste Zeit hat mein ungläubiges Kopfschütteln in Anspruch genommen, während ich dem Protagonisten Jin Sakai dabei zugesehen habe, im Kampf besiegt und auf dem Boden kriechend unwürdig erstochen zu werden. Es ergibt also Sinn, wenn ich mit meiner Kritik am Kampfsystem beginne und mich von da aus langsam vorarbeite.

»Ghost of Tsushimas« Kampfmechaniken fühlen sich wie ein Medley all dessen an, was ich früher stillschweigend ertragen habe, aber eigentlich nicht wiedersehen wollte: Ein stumpfes Gehacke auf zwei Schwerttasten, das schon in »The Witcher 3« nervte, in »Assassin’s Creed Origins« noch okay war, aber spätestens dann nicht mehr. Die Schwerthaltungen sollen den Anschein von Komplexität erwecken, fügen dem Spiel aber nichts hinzu: Sie erhöhen nicht meine Auswahlmöglichkeiten, denn wenn ich nicht gerade auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad spiele, muss ich sie förmlich gebrauchen. Ihr Nutzen in Kampfsituationen ist beinahe so festgelegt wie bei den farbcodierten Gegnern in »DmC:Devil may Cry«, die nur von bestimmten Waffen verletzt werden können.

Komplexität bringt wiederum die Mehrfachbelegung der Tasten mit sich, die mich zuletzt in Batman: Arkham Knight so stark verwirrt hat. Mehrere unterschiedliche Auswahlräder, die wiederum jeweils mit ihrer eigenen Taste zu öffnen sind, sollen das Chaos ordnen. Das ist selbst mir zu viel, und ich kann einen PS4-Controller im Schlaf bedienen. Für Menschen, die nicht über das Muskelgedächtnis von zwanzig Jahren Videospielen verfügen, muss es ein wahrer Graus sein.

In der jetzigen AAA-Spielelandschaft gehört zu einem unausgegorenen Kampfsystem leider auch immer die exzessive Anwendung desselben, und auch »Ghost of Tsushima« hält sich an diese traurige Formel. Alle paar Sekunden finde ich Camps voller Banditen oder eine Patrouille Mongolen, die von mir Dresche wollen, obwohl ich doch nichts weniger will, als Dresche zu verteilen. Immerhin, an diesen kann ich vorbei reiten. Weniger Wahl lässt mir das Spiel in fast jeder Quest, die unweigerlich in einen ausgiebigen Kampf gegen dutzende Gegner mündet. Gelegentlich darf ich die ersten paar Feinde aus dem Hinterhalt ausschalten oder in einem Duell sofort aus dem Spiel nehmen. Doch anschließend findet »Ghost of Tsushima« direkt wieder in seinen gewohnten Trott.

Ja, all das sind Krankheiten, die so gut wie jedes zeitgemäße Open-World-Game hat. Ich hätte nichts anderes von »Ghost of Tsushima« erwarten dürfen, und dass ich das getan habe, ist meine eigene Schuld. Viel stärker schmerzen die angeblichen Innovationen des Spiels, die sich bei näherer Betrachtung eher als Rückschritte entpuppen. Oder solche, die meinen Genuss am Spiel selbst dann noch schmälern, wenn ich die Stumpfheit der Kämpfe und die komplizierte Steuerung durch einen Wechsel auf den untersten Schwierigkeitsgrad umgehe.

Fehlende Kontrolle: Ein Thema, das sich durch Ghost of Tsushimas Geschichte und Spielmechanik zieht.

Visuelle Überlastung

Viele der vermeintlich die Involvierung erhöhenden Änderungen, mit denen »Ghost of Tsushima« so beworben wurde, sind nichts weiter als Blender. Auf den ersten Blick mag es ansprechend wirken, dass statt eines Questmarkers der Wind den Weg zum nächsten Ziel anzeigt. Doch wohin geht die Immersion, wenn ich alle zehn Sekunden mit dem Finger übers Touchpad wische, weil ich nicht weiß, wohin ich muss? Oft ist der Bildschirm so überfrachtet mit sich bewegender Flora und wirbelnden Effekten, dass ich die Richtung der transparent-weißen Windböe nicht einmal erkenne und dann einfach das Menü öffne, um auf die Karte zu schauen. Die Ästhetik von »Ghost of Tsushima« ist nicht annähernd stilisiert genug, um Spielerhilfen im User Interface durch solche der Spielwelt internen Wegweiser zu ersetzen. In der Tuschegrafik eines Okami kann ich mir den wegweisenden Wind hervorragend vorstellen, hier wäre mir ein Questmarker lieber gewesen. Ein solcher lässt sich aber leider auch im Menü nicht dazu schalten. Das ist ein Zugänglichkeits-Albtraum, trotz ansonsten löblicher Accessibility-Optionen.

Auch der Verzicht auf eine Minimap soll den Druck erhöhen, sich bei der Navigation auf den ohnehin viel zu vollen Spielbildschirm konzentrieren zu müssen. Dass so die Kämpfe auch noch zu einem Orientierungsalbtraum werden, bei denen vor hohem Gras oft kaum mehr sichtbar ist, woher ein Pfeil geflogen kommt, wie viele Gegner noch übrig sind und wohin Jin gerade ausweicht, wird dafür gerne in Kauf genommen.

Füchse führen Jin zu neuer Ausrüstung, die seine Statuswerte um ein paar Prozentpunkte erhöhen.

Im Bann des Ambiente

Mit dem Verzicht auf die Minimap und der vagen Wegführung soll ein starker Anreiz zum Erkunden geschaffen werden, ich weiß. Und die Erkundung der Insel ist wohl Ghost of Tsushimas einzige wirkliche Stärke. Der Artstyle der Spielwelt ist atemberaubend schön, die wechselnden Umgebungsfarben und reichhaltig eingesetzten Partikeleffekte holen das beste aus meiner Konsole heraus. So schön ist alles, dass ich vom Rücken meines Pferdes manchmal sogar vergesse, was für eine Mühe jede Bewegung, jeder handelnde Akt abseits des Reitens mir in dieser Welt abverlangt. Deswegen ist »Ghosts of Tsushima« auch kein kompletter Fehlschlag für mich.

Ich kann ein paar ruhige Minuten auf dem Rücken meines schwarzen Gauls genießen und freudig einem goldenen Vogel oder einen Fuchs hinterher reiten, während das goldene Laub vor mir raschelt oder die heißen Quellen um mich herum dampfen. Doch dann komme ich am Ziel an, merke, dass mich die lokale Fauna zu irgendetwas geführt hat, das ich nicht machen will, und seufze. Wenn jeder noch so nett versteckte Shinto-Schrein nur dazu dient, mir einen nutzlosen Talisman mehr ins unnötige Inventar zu geben, dann lasse ich sie liegen. Wenn jede Nebenquest von den Mongolen-geplagten Bauern Japans in einem fünfminütigen Kampf oder einer Verfolgungssequenz mündet, über die ich mich schon 2010 in »Assassin’s Creed 2« und »Brotherhood« lustig gemacht habe, dann reite ich halt lieber weiter.

Fazit

»Ghost of Tsushima« ist gemacht für Menschen, die sich kurz vor Verkaufsstart der PlayStation 5 ein heruntergesetztes PS4-Bundle kaufen wollen, um eine ganze Konsolengeneration nachzuholen. Oder für jene, die zum Start der PS5 nicht zufrieden mit dem Spieleangebot sind und sich die Zeit mit dem grafisch beeindruckendsten Titel der letzten Generation vertreiben wollen. Ein Best Of von Verkaufsargumenten des Kassenschlagers Open-World-Action-Adventure. Ja, durchaus die perfekte Mischung aus allem, was zwischen »Assassin’s Creed 2« und »Horizon: Zero Dawn« veröffentlicht wurde.

Beeindruckend, wenn man vorher noch kein anderes Spiel dieser Art gespielt hat – aber nur dann. »Ghost of Tsushima« macht alles, was daran gut ist, vieles, was längst ausgemerzt war und einiges Neues, das gut hätte werden können, aber oft einfach nicht klappt. “Ein würdiger Abschluss dieser Generation”, sagen manche. Ich widerspreche. Eine von vielen Möglichkeiten, den Open-World-Trend auf die Spitze zu treiben, und nicht zwingend die beste. »Ghost of Tsushima« ist ein guter Start für neue Konsolenbesitzer und frisch gebackene AAA-Spielerinnen. Aber das war es dann auch fast schon.

Pascal liebt charmante Indie-Games und japanische Zeitfresser wie Persona, Yakuza und Monster Hunter. Er ist Feuer und Flamme für Game Studies und forscht daher in München an Sprache und Videospielen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert