Indie-Spiele sind oft schon jahrelang digital erhältlich, bevor sie in limitierter physische Edition erneut erscheinen. Warum erfreuen sich solche Collector’s Editions trotzdem so großer Beliebtheit? Ein Blick auf Sammler und Archive.

Der Markt für sammelbare Produkte in der Gaming-Sphäre war immer schon groß. Viele ältere Spieler:innen erinnern sich aus ihrer Jugend an bunt bedruckte Kartons, dicke Handbücher oder kleine Goodies, etwa gedruckte Stoffkarten der Spielwelt. Damals oft aus Notwendigkeit heraus: Wenn das Spiel selbst keine Kartenfunktion hatte, auf der Diskette kein Speicherplatz für langwierige Tutorial blieb oder ein Kopierschutz auf der Packungsinnenseite abgedruckt war. Über die letzten Jahrzehnte wurden physische Packungsbeilagen immer seltener. Statt Handbüchern liegen seit PlayStation-3- und Xbox-360-Zeiten meist nur noch Garantiezettel in den Plastikhüllen.

Gleichzeitig begann das Zeitalter der Collector’s Edition unter den AAA-Spielen: Deutlich teurere Disk-Versionen, die mit Actionfiguren, Soundtrack-CDs, Sammel-Ansteckpins oder Ähnlichem eine hübsche Box füllen. Diese Collector’s Editions verkaufen sich bis heute so gut, dass sie zu einem Standbein der Industrie geworden sind. Heute gibt es neben limitierten physischen Sammlereditionen auch digitale Special Editions, die oft ohne wirklichen Gegenwert teurer sind – die darin enthaltenen herunterladbaren Zusatzinhalte sind oft rein kosmetisch oder bringen die Spielbalance der ersten Stunden durcheinander. Und auch die physischen Sammlereditionen, so normal geworden, dass sie kaum mehr eine Meldung wert sind, schaffen es gelegentlich mit kleinen Skandalen in die News: Die miserabel verarbeitete Sporttasche der Collector’s Edition von »Fallout 76« etwa geriet so in Verruf, dass Bethesda neue Taschen produzieren musste und im Nachhinein verschicken ließ.

All das betrifft im Wesentlichen AAA-Spiele: Große Blockbuster wie »Call of Duty« oder »Assassin’s Creed«, die auch ohne Collector’s Edition als physische Version im Regal des Elektrofachhandels stehen und deren Publisher selbst über das Budget verfügen, aufwendige Sammelgegenstände zum Verkauf zu produzieren.

Die 200 Euro teure Collector’s Edition von »Fallout 76« versprach unter anderem eine Sporttasche aus Leinen. Die gelieferte war aus dünnem Nylon und roch schlecht. Die Fans zeigten sich erbost.

Indie-Perlen für die Vitrine

Indie-Entwicklungsstudios sind, was die übliche Veröffentlichungsstruktur ihrer Spiele angeht, in den meisten Fällen vollkommen anders aufgestellt. Ausschließlich digitale Veröffentlichungen sind die Norm: Egal ob auf dem PC, wo digitale Verkaufsplattformen wie Steam schon seit einer Dekade den Markt dominieren, oder auf den Konsolen, für die noch ein beträchtlicher Teil der Spiele auf Disk verkauft wird. Viele Indie-Spiele werden erst nach ihrer Erstveröffentlichung zu den heiß begehrten Hype-Objekten, zu denen AAA-Titel durch ihr gigantisches Marketing-Budget oft bereits Jahre vor Release gemacht werden. Fan-Favoriten wie »Undertale« oder »Untitled Goose Game« verkaufen oft hunderttausende Einheiten digital, bevor sie eine physische Edition erhalten.

Trotzdem sind diese späten Editionen beliebter Spiele heiß begehrt. Obwohl sie meist nur über spezifische Online-Portale bestellt werden können, sei es direkt beim Publisher oder über Import-Seiten, bleibt kaum ein physischer Indie-Publisher auf seinem Lagerbestand sitzen. Fast nie produzieren Entwicklungsstudios diese Spielversionen selbst. Stattdessen verkaufen sie die Rechte an spezialisierte Unternehmen, die ihrerseits die Lizenzierung von Switch-Modulen und PS5-Disks übernehmen und die Produktionskosten von sammelbaren Münzen oder Stoffkarten vorstrecken.

Collector’s Editions kommen meist in limitierter Auflage daher und sind oft wenige Stunden nach Veröffentlichung ausverkauft. Die begehrten Editionen sind ein gutes Geschäft für Publisher und den Gebrauchtmarkt.

Spezialisierte Publisher machen’s möglich

Eines dieser Unternehmen ist die britische Firma Super Rare Games, die weniger erfolgreichen Indie-Titeln mit physischen Editionen für Nintendo Switch neues Leben einhaucht. Anders als viele der ausgiebig mit Münzen, Soundtrack-CDs und anderen teuren Sammelobjekten ausgestatteten Konkurrenzprodukte sind die Editionen von Super Rare Games an typische Verkaufsversionen physischer Veröffentlichungen angelehnt: Gewöhnliche Switch-Verpackungen mit hübschen Wendecovers, wie man sie gerne im Fachhandel kauft. Zusätzlichen Kaufanreiz erzeugen die Versionen eher über kleinere Goodies wie Sammelkarten, ein aufwändig illustriertes Handbuch und Sticker, sowie über die durchgängige Nummerierung aller Spiele des Publishers auf dem Rücken, die es für Sammler:innen attraktiv macht, die gesamte Reihe zu kaufen.

Dank ihrer bewussten Schlichtheit schlagen diese Versionen keinen massiven »Sammlerbonus« auf den Preis, bleiben aber doch deutlich teurer als die digitalen Versionen der Spiele. »Ghost of a Tale« beispielsweise, die Nummer 43 im Katalog von Super Rare Games, kam 2018 digital auf den Markt und kostet im eShop der Nintendo Switch regulär 25€. Die physische Edition des britischen Vertriebs ist 2020 erschienen und schlägt mit 27 Pfund zu Buche: Nimmt man die Versandkosten hinzu, kommt man auf umgerechnet gut 40€, deutlich mehr als die digitalen Kosten. Zu diesem Aufpreis muss man sich ein Spiel schon bewusst ins Regal stellen wollen; bei anderen Unternehmen, die mit noch aufwändigeren und damit teureren Sammlereditionen werben, erst recht. Darin drückt sich jedoch eine Wertschätzung aus, die viele Menschen gerne mit einem Aufpreis vergüten, wenn sie dafür eine Entwicklungsfirma unterstützen können, die sie mögen: Oft sogar mit dem Kauf eines Spiels, das sie bereits digital besitzen.

Denn so sehr Indies die Superstars der Videospielwelt geworden sind, so weit ist auch der Graben zwischen Erfolg und Misserfolg: Wer nicht wie »Undertale« oder »Hades« über Mundpropaganda bereits Millionen Einheiten verkauft, hat es oft schwer, in den digitalen Storefronts sichtbar zu werden. Trotzdem sammeln sich um viele qualitativ hochwertige Spiele kleine Fangemeinschaften, die den Erfolg ihres Lieblingsspiel gerne unterstützen. Da darf es dann gerne auch mal teurer werden, schließlich hat man dafür auch etwas in der Hand.

Switch-Versionen bietet selten die flüssigste oder schönste Spielerfahrung, sind unter Sammlern aber dennoch sehr beliebt.

Zum Auspacken und Anfassen

Die Haptik digitaler Medien sollte man nicht unterschätzen. Die neue XBox Series X kommt in aufwendigen Umverpackungen, deren Öffnen bereits Spaß machen soll, und dieser Reiz des Öffnens beschränkt sich nicht auf eine neue Konsole alle sieben Jahre. Das charakteristische Schnappen einer BluRay-Hülle oder der leise Klick beim Schließen einer Switch-Spieleverpackung sind genauso gut durchdachte Erkennungsmerkmale wie die Silhouette der Packung im Regal. Haptischer, optischer und auditiver Genuss machen aus einem Stück Plastik ein liebgewonnenes Sammlerstück.

Wenn sich diese Liebe zu einem bestimmten Sammlerstück kulturell verbreitet und aus einem nicht mehr verfügbaren Spiel eine heiße begehrte Wertanlage wird, zahlt sich der Griff zur physischen Edition oft auch noch finanziell aus. Switch-Spiele erleiden durch Nintendos restriktive Rabattpolitik ohnehin deutlich weniger Wertverfall als die Disks anderer Konsolen. Durch die begrenzt produzierte Anzahl lassen sich manche der limitierten Spiele möglicherweise später trotz gebrauchtem Zustand sogar für mehr weiterverkaufen, als man zuvor für sie bezahlt hat.

Collector’s Editions wie diese zu »Ghost of a Tale« von Super Rare Games locken mit Packungsbeilagen und solidem Werterhalt.

Für die Ewigkeit?

Nicht zuletzt treibt die Sorge um den Verlust eines geliebten Spiels viele Menschen zum Griff nach der physischen Edition. Gerade Nintendo stellt wenige Remakes oder Remaster alter Titel zur Verfügung und sorgt durch seine restriktive Politik im Hinblick auf Fanseiten, die alte Spiele archivieren, für durchaus reale Ängste um die Zukunft alter Spiele. »Super Mario 3D All-Stars« etwa bleibt nur noch bis zum 31.03.2021 digital und physisch erhältlich, bevor Nintendo es vermeintlich dauerhaft aus dem Verkauf nimmt. Unter diesen Umständen verwundert es kaum, dass Spieler:innen bevorzugt zum physischen Modul greifen, um auch bei einer späteren Schließung des Nintendo eShops Zugriff darauf zu behalten.

Auch Indie-Spiele sind durch ihre Verknüpfung mit digitalen Vertriebsmethoden nicht automatisch davor gefeit, zu verschwinden. Das taiwanesische »Devotion« von Red Candle Games wurde aufgrund einer gegen die Volksrepublik China gerichteten Karikatur im Spiel aus allen digitalen Storefronts entfernt und trotz wiederholter Versuche der Entwickler bisher nicht erneut veröffentlicht. Das Spiel bleibt weiterhin als illegale Kopie in Internetforen zugänglich, der Aufwand, an die kopierte Version zu gelangen, wird jedoch die meisten Spieler:innen davon abhalten, »Devotion« zu erleben. Im Nachhinein hätten viele Spieler:innen gerne eine physische Kopie gekauft, um das Spiel zu erleben und zu teilen.

Und nicht nur die reine Spieldatei wird durch solche Versionen für die Nachwelt gesichert: »Verpackung und Begleitmaterial stellen aussagekräftige Bestandteile unserer Archivobjekte dar und können zum Beispiel für künftige Ausstellungen oder für Forschungsfragen künftiger Nutzer:innen interessant sein.« teilt uns das Literaturarchiv Marbach, in dem auch Computerspiele archiviert werden, auf Anfrage mit. »Das macht Collector’s Editions durchaus für die Archivierung interessant, solange andere relevante Eigenschaften gegeben sind, etwa die Kopierbarkeit auf DRM-freie Speichermedien, um von der physischen Degradation oder Formatobsoleszenz der Medien unabhängig zu bleiben.«

Auch in der Internationalen Computerspielesammlung, einem gemeinsamen Projekt der USK, des Computerspielemuseums Berlin und der Universität Potsdam, spielen Collector’s Editions eine Rolle. “Wir versuchen, das ganze ‘Phänomen Computerspiel’ abzubilden. Dazu gehörten auch Sammlereditionen, da uns diese etwas über die Fans mitteilen, die sie kaufen,” so Winfried Bergmeyer, ehemaliger Sammlungsleiter des Computerspielemuseums. Solche Editionen spielen außerdem für Ausstellungen eine direkte Rolle, da man sie und ihren oft aufwändig produzierten Inhalt anschaulich präsentieren kann.

Das Mitliefern von – digitalisierten – Begleitmedien wie Handbüchern, Wendecovern oder Artbooks ist auch Teil des Angebots im Retrogame-Shop GOG.com, also durchaus nicht nur für kommerzielle Sammlungen oder wissenschaftliche Archive interessant, sondern auch für Privatkäufer:innen.

Eine exklusiv in Taiwan veröffentliche Sammleredition bleibt derzeit die einzige Möglichkeit, »Devotion« legal zu erstehen. Quelle: Red Candle Games.

Es existieren also genug Gründe, davon auszugehen, dass uns Collector’s Editions erhalten bleiben – als Konzept und ganz buchstäblich gesprochen. Solange Menschen einen Aufpreis bezahlen möchten, um zusätzliches Merchandise für ihre Lieblingsspiele zu ergattern oder die Sicherheit zu bekommen, auch in 30 Jahren noch Zugriff auf einen Titel zu haben, werden Publisher Actionfiguren produzieren und Unternehmen wie Super Rare Games sich bemühen, Indie-Spiele zu lizenzieren. Und durch die immer stärkere Festigung der Game Studies an deutschen und internationalen Universitäten wird auch die Anzahl der Archive steigen, die physische Versionen digitaler Spiele für die Nachwelt sichern. Und das nicht statt, sondern neben der digitalen Archivierung durch Fanseiten, das Internet Archive oder aufbereitete Spielversionen etwa auf GOG.com. Die Zukunft der Archivierung von Videospielen sieht also weit rosiger aus, als man mit Blick auf die Schlagzeilen um Spiele wie »Devotion« oder Unternehmen wie Nintendo oft glauben möchte.

Die Collector’s Edition von »Ghost of a Tale« wurde uns von Super Rare Games kostenlos zur Verfügung gestellt.

Pascal liebt charmante Indie-Games und japanische Zeitfresser wie Persona, Yakuza und Monster Hunter. Er ist Feuer und Flamme für Game Studies und forscht daher in München an Sprache und Videospielen.

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