Grauer Büroalltag, starre Hierarchien, Arbeiten von 9 to 5. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Unserem Arbeitsverständnis liegt noch immer ein Konzept von Arbeit zugrunde, das sich wohl am treffendsten mit dem Sprichwort »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen« beschreiben lässt. Arbeit ungleich Spaß. Arbeit ist ernst, Arbeit ist hierarisch geregelt und grau schattiert. Arbeit ist Existenzvoraussetzung und daher vom Prinzip her schon eine todernste Angelegenheit. Aber: Muss das so sein? Geht es auch anders? Kann, ja, darf, Arbeit Spaß machen? Lässt sich Arbeit spielerisch denken? Unbedingt! Das zumindest meint die New Work-Bewegung. Wir waren zu Gast beim Möbelkollektiv, einem Nürnberger Zusammenschluss Geleichgesinnter, das sich dem Konzept der New Work verschrieben und die Erstellung Lebenswerter Arbeitsorte zu ihrem Ziel gemacht hat. Und haben nachgefragt. Stellt sich heraus, dass Arbeit und Spielen viel mehr miteinander zu tun hat, als erwartet. Aber lest selbst!

Thomas Dormann, Möbelkollektiv
Nora Beyer, Gain Magazin

Der Begriff New Work – also Neue Arbeit – geistert derzeit durch Medien und Unternehmen gleichermaßen. Was kann man sich denn darunter überhaupt vorstellen?

Auf verschiedenen Ebenen verändert sich gerade die Art zu arbeiten: gesellschaftlich, beispielsweise durch eine neue Gewichtung von individuellen Werten, technisch natürlich, die Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung sind vielfältig und auch organisatorisch, die Art der Zusammenarbeit folgt hierbei zum Beispiel der Notwendigkeit zur schnelleren kreativen Problemlösung.

Erdacht hat das Ganze ja erstmals der österreich-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann. Zentral dabei ist der Begriff der Freiheit. Bergmann kritisiert, dass wir in Arbeitskontexten nur Entscheidungsfreiheit, aber keine Handlungsfreiheit haben. Heißt, wir können uns zwischen Alternativen entscheiden, aber nicht grundsätzlich, wie wir wirklich arbeiten wollen. Er schreibt, dass Menschen sich eigentlich an dem orientieren sollten, „was sie wirklich, wirklich wollen“. Und wenn sie das machen, dann werden sie „unabhängiger, freier und das Leben [fühlt sich] lebendiger [an]“. Das klingt ziemlich paradiesisch. Und für viele wohl erstmal utopisch. Was braucht es eurer Meinung nach dazu?

Im Grunde geht es um Motivation, den nachhaltigen inneren Antrieb am gemeinsamen Handeln. Wenn wir nun selbst stärkeren Einfluss auf unsere Arbeit, auf Methoden und Ziele als Einzelner oder als Gruppe gewinnen, nutzt dies dem Unternehmen sehr. Freiheit meint vor allem Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit und ist zentral auch eine Frage der Kommunikation. In den allerwenigsten Fällen entstehen lebenswerte Arbeitsorte zufällig, lassen sich pauschal umsetzen oder gar top down verordnen. Es braucht deshalb zuerst die Erkenntnis, dass Veränderung beständig passiert und entweder Veränderungsdruck oder Lust zur Veränderung ist. Werte zu haben ermöglicht erst nachhaltige sinnvolle Wertschöpfung.

© Möbelkollektiv

Und was bedeutet New Work speziell für dich/euch? Ihr habt das Möbelkollektiv gegründet. Was ist das Konzept dahinter? Und wie lebt ihr New Work bei euch?

Wir haben unser Möbelkollektiv aus der Überzeugung heraus entwickelt, das BESSER ARBEITEN zuerst dem Menschen nutzt. Die gemeinsam mit den Partnern (Kunden) individuell entwickelte Raumstruktur und „Emotionalität“ ermöglicht und unterstützt die Veränderungsprozesse in den Unternehmen. Wir sehen uns hier als ein Baustein einer möglichst ganzheitlichen Herangehensweise, die auch nicht wirklich endet. Durch die Zusammenarbeit entstehen zukunftsfähige Arbeitsräume, die Veränderungen auf allen Ebenen ermöglichen. Damit nicht am Ende nur irgendwo ein sinnloser Kicker im Raum steht. Wir laden Gleichgesinnte zum Ideenaustausch, arbeiten kooperativ, partizipativ und informieren offen über alle neuen Ideen und Konzepte. Als analoge und regionale Plattform funktioniert das bisher ganz gut.

Wenn man euch im Kollektiv besucht, fällt einem gleich auf, dass es da eine ganze Menge spielerischer Designelemente gibt. Da hängt etwa eine Schaukel von der Decke oder ein Boxsack im Raum. Die Sitzbänke an der einen Wand kann man verschieben wie bei Tetris und ihr greift in Workshops immer wieder auf gamifizierende Elemente zurück: Lego Serious Play ist da nur ein Beispiel. Wo seht ihr selbst die Verbindung zwischen Gamification und New Work?

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung von Raumkonzepten war schon immer eine emotionale Übereinstimmung mit den stattfindenden Tätigkeiten, also waren Parameter wie Licht, Akustik, Farben, Haptik oder Klima die Basis für im besten Fall nonverbal verständliche Lösungen. Das Ermitteln von komplexen individuellen Bedürfnissen für besseres Arbeiten funktioniert am Besten spielerisch. Der kreative Prozess, losgelöst von Hierarchie, Status, Ego, Angst oder Unsicherheit erleichtert allen die Analyse und führt zu besseren und ehrlichen Ergebnissen. Außerdem ist man einfach schneller gemeinsam am Ziel. Spannung wird wie im Spiel durch die mögliche Veränderung der Situation erzeugt. Multifunktionalität und Modularität machen Räume also auch erst zu Spielflächen.

© Möbelkollektiv

Der niederländische Historiker Johan Huizinga hat bereits 1938 das Buch „Homo Ludens“ herausgebracht, in dem er die für viele ziemlich gewagte These aufstellt, dass Spiele vorkulturell seien. Spiele seien nicht Ergebnis von Kultur, sondern deren Grundlage. Spielen liegt uns im Blut. Über Spiele lernen wir am effizientesten. Wie seht ihr das?

Wir betrachten unsere Arbeit, also das Meiste, was wir tun als Versuch. Immer auch mit der Möglichkeit zu Scheitern und daraus zu lernen. Eigentlich nicht anders als bei Kindern. Viele Methoden der Arbeit lassen sich wie Prototypen spielerisch testen und gemeinsam viel substanzieller lernen. Auch Besprechungen können meist kreativer ablaufen und Informationen effektiver transportieren, wenn sie methodisch anders oder leichter angewendet werden. Und wenn die Orte für Kommunikation und Ideenaustausch als Raum dazu geeignet sind.

Gibt es auch Grenzen? Gibt es Arbeitsbereiche, in denen Freiheit und Spiel eingeschränkt werden sollen/können/müssen?

Von regelbasierten Einschränkungen halten wir nicht viel, weil sie nicht nachhaltig sind und ihre Umgehung alle nur Kraft kostet. Besser funktionieren gemeinsame Ethik und nonverbale Selbstverständlichkeiten. Also zum Beispiel bei aller Transparenz darauf zu achten, meinen Nächsten nicht zu stören. Konzentrationsfähigkeit ist also nicht nur von der eigenen Energie sondern auch vom Verhalten meiner Umgebung abhängig. Die Raumlogik zu den Möglichkeiten, solch rücksichtsvolles Verhalten umzusetzen, sind ein wichtiger Bestandteil in unseren Konzepten.

Und wie geht’s weiter? Mit New Work und mit euch? Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Wir arbeiten an der Verbreitung der Idee, das besseres Arbeiten nicht romantisches Träumen bedeutet, sondern den Menschen nutzt und auch betriebswirtschaftlich Sinn macht. Diese Zeit ist voller Veränderungen und mit großen Chancen verbunden. Neue Arbeit passt sich diesen Änderungen schneller und besser an. Sichtbar wächst überall die Bereitschaft zur Vernetzung. Diese gemeinsame Haltung trägt uns sozusagen spielerisch in eine spannende Zukunft!

Ich danke euch für dieses Gespräch!

Noras epischster Spielmoment war der Sieg über Endgegner Irenicus in Baldur's Gate II: Schatten von Amn. Mit 12 Jahren. Und 39 Grad Fieber. Irgendetwas hat sie seitdem nicht mehr losgelassen und nun forscht sie in ihrem Promotionsprojekt "Morality and Ethics in Computer Games" an der Uni Bayreuth nach den moralischen Konzepten, die den Regelsystemen von Spielen meist unbewusst eingeschrieben werden. Daneben schreibt die passionierte Bikerin, die eben erst in 30 Tagen allein von Nürnberg zum Nordkap geradelt ist, auch Romane.

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